Brief von Wilhelm Wackernagel an Joseph von Laßberg (14.12.1827).

Textfassung auf Basis der Transkription durch Transkribus korrigiert und in TEI überführt. Automatisierte NER-Erkennung und Identifikation durch Flair geprüft, korrigiert und ergänzt. Normalisierung, Zusammenfassung und Übersetzung durch GPT-4. Lizenz: CC BY 4.0

Metadata

Signatur: Basel, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt,

Registernummer (Laßberg):

Registernummer (Harris): 2196

Gedruck in:

Original Text

Herr Baron! Von Ihrer Güte erbitte ich dafür Verzeihung, dass ich erst jetzt, Mitte Decembers, auf Ihren Brief vom May antworte und herzlich für die mitgesandten Geschenke danke. Es gleich damals zu thun, war mir bei der Freude über Ihre gütige Aufmerksamkeit für mich un möglich, ich konnte keine Worte finden. Dann kamen allerhand verdriessliche Geschäfte, die mir die Lust an Allem raubten. Ich wollte nach PolenWIKIDATA Icon gehn für länger, vielleicht für immer; zum Glück ward nichts daraus. Mehrere codices hatte ich auch ab zu schreiben. Ich konnte kaum zu mir selbst kommen. Jetzt endlich, um mich nicht länger zu schaemen, benutze ich H. Prof. LachmannsGND Icon Güte und schreibe Ihnen - eben wie herzlich ich Ihnen danke, wie sehr Sie mich erfreut haben. Ich hoffe, Sie haben durch FroehlichGND Icon oder A. L. FollenGND Icon noch einige andre halbe und ganze Bogen erhalten. Gern hätte ich Ihnen auch noch zwey groessere, wenn gleich an sich kleine Bücher von mir geschickt, wenn mich nicht die Unsicherheit der Buch händler und die Kostspieligkeit des Postweges abgeschreckt hätten. Zuerst unter dem Titel, "Spiri tualia theotisca" eine Sammlung von Predigtbruchstücken des 12-15 Jhdts (BresslauWIKIDATA Icon, Grass); dann eine Ausgabe des Wessobrunner Gebetes u. der Wessobr: Glossen📖 (gegen MassmannGND Icon), BerlinWIKIDATA Icon, Schmidtsche Buchhdlg. Statt dessen lassen Sie mich Ihnen einige mhd. Lieder, selbst gemachte, abschreiben; es wäre mir lieb, hätten Sie sie nicht ungern gelesen. I. 1. „Neumuoz, ich von dir scheiden. owê der herzenôt! und sol ich lange verre sîn in sorgen lig ich tôt. 2. Si want ir wîzen hende. neinâ vil lieber man! owê mich wê der leide, und wellest mich nu lân. 3. "Ich bin dir ie getrieuwe, in meine niuwan dich vil herzeliebin vrouwe. ne tuoz ouch umbe mich! 4. Nun welle got von himele deich breche mînen eit! nâch küssen weinden beidin: ir scheiden was in leit. 5. Dô zôch si ab ir hende ein guldîn vingerlîn. ir ougen weinden heize. dâbî gedenke mîn! 6. Adê adê vil lieber man! mîn herzelich var wol. aû ambeschen reit er hin. sîn lîp was kumbers vol. II. 1. Sol ich lachen? sol ich weinen vrouve, zwâr - in weiz es nicht. wîbe minnen, wîbe meinen. dem diz liebe leit geschiht. Zwâre, der enweiz des nicht, sül er lachen sül er weinen 2. Michel liebe Michel leide daz ist ein als wârez wort. Wil er einez, habe beide wil er hie, so sê ouch dort. Ez ist ein als wârez wort: michel liebe Michel leide. 3. Ich was vrô unt vrîs muotes; nû muoz ich dîn eigen sîn. Eigen lîbes unde guotes herzeliebez vrouwelin. Mac ich je dîn eigen sîn. ich bin vrô unt vries mustes III. 1. Al min leben muoz mir werden, sît ich, magt, dich hân gesehen. Schoenest wîp ob al der erden! heiles vil muoz ich mir jehen Nahtegal sô suoze sanc schône lûhte rôsebluome: deist ein saelec aneganc. 2. Sol ich, vrouwe, dir versmâhen so hât glücke mich getragen, Sol ich iestunt dir unnâhen sô hât mîr mîn sin gelogen. - sô bin ich der vroude vrî sinc dû mir ein süezer maere nahtegal am rôsenzwî! 3. Nahtegal, daz singen dîne hât mich nû gevangen gar. Rôse, süeziu rôse mîne, wan dîn einer nim ich war. Wol mich wol der herzenôt!- vrouwe lâ mich bî dit bliben; âne dich sô bin ich tôt. IV. 1. Lieber vogel guoter heb dich ûf unde vliuc von dan Über walt und ouwen hin zuo der vrouwen wolgetân sô stât an der Zinnen liep mîn magedîn. wartend al mit sinnen an die strâzen mîn. 2. So vâlt dîn gevidere. deich dir je müeze holder sîn! Zwo der reinen megede wis dû der liebe bote mîn. Unde wirp den maere sit ich selb enmac. daz ist mir vil swaere und ein leider tac. 3. Sinc du mîner vrouwen mit sinnen also süez ein sanc. Nâch ir stât mit trûren mîn herz und aller mîn gedanc. "Abent unt den morgen hât er dîn gedâht; al die naht mit sorgen hât er sus verbrâht." V. 1. Ist dir mîn staetez singen swaere. vil liebin reiniu vrouwe zart so sprich zuo mir ein liebez maere; und ist in liep mîn mit gekart. So schaff ich, daz min zunge dage: in weiz ouch danne, waz ich klage. 2. Ez singent nahtegaln als lange unz daz in leit volendet ist Und swîgent mêre mit ir sange ir leit daz birt ir süezen list. Ine sanc nie nahtegalen sanc; doch was ez leit, dâ von ich sanc.Und swîgent mêre mit ir sange 3. Sich, vrouw, ist der mîn liet unmaere, dun wendest liet, dun wendest leit, Den site hânt et sene daere: ir kumber ist nie ungekleit Du guote, meine dû ouch mich son sing ich, wan ich küsse dich. VI. 1. Dem swanen bin ich wol gelîch: der singet, sô er sterben sol. Mîn leben ist so kumberlich: ich zellez zuo dem tôde wol. Zer werlde bin ich gar ein zage: ich leb unt stirb iedoch von Tage zu tage. 2. Ein wîp, diu liebet mir den tôt. ein wîp, diu leidet mir min leben. E was ich stump; wan disiu nôt, diu hât mir sanges vil gegeben. sus lâz ich singend al min wê adê du toetaerim adê adê! 3. Waz hilfet mich mîns liedes klage? dui guote wil sîn nicht verstân: Sin hoeret niht, swie vil ich sage, noch troestet, wie si troesten kann Wan sterbest vroude Kranker lîp! der mort ist dîn: nu klag et statez wîp! Doch ich habe Sie schon lange genug gelangweilt um meinen Brief hier schliessen. Ich wünsche mir nichts mehr, als Sie auf EppishausenWIKIDATA Icon besuchen zu können. Leben Sie wohl und erhalten Sie auch ferner Ihr Wohlwollen Ihrem Wilhelm Wackernagel. Berlin. 14/12/27.

Normalisierter Text

Herr Baron! Von Ihrer Güte erbitte ich dafür Verzeihung, dass ich erst jetzt, Mitte Dezembers, auf Ihren Brief vom Mai antworte und herzlich für die mitgesandten Geschenke danke. Es gleich damals zu tun, war mir bei der Freude über Ihre gütige Aufmerksamkeit für mich unmöglich, ich konnte keine Worte finden. Dann kamen allerhand verdrießliche Geschäfte, die mir die Lust an Allem raubten. Ich wollte nach Polen gehen für länger, vielleicht für immer; zum Glück ward nichts daraus. Mehrere Codices hatte ich auch abzuschreiben. Ich konnte kaum zu mir selbst kommen. Jetzt endlich, um mich nicht länger zu schämen, benutze ich H. Prof. Lachmanns Güte und schreibe Ihnen - eben wie herzlich ich Ihnen danke, wie sehr Sie mich erfreut haben. Ich hoffe, Sie haben durch Fröhlich oder A. L. Follen noch einige andere halbe und ganze Bogen erhalten. Gern hätte ich Ihnen auch noch zwei größere, wenn gleich an sich kleine Bücher von mir geschickt, wenn mich nicht die Unsicherheit der Buchhändler und die Kostspieligkeit des Postweges abgeschreckt hätten. Zuerst unter dem Titel, "Spiritualia theotisca" eine Sammlung von Predigtbruchstücken des 12-15 Jhdts (Breslau, Grass); dann eine Ausgabe des Wessobrunner Gebets u. der Wessobr: Glossen (gegen Massmann), Berlin, Schmidtsche Buchhandlung. Stattdessen lassen Sie mich Ihnen einige mhd. Lieder, selbstgemachte, abschreiben; es wäre mir lieb, hätten Sie sie nicht ungern gelesen. I. 1. „Neumuoz, ich von dir scheiden. owê der Herzenot! und sol ich lange verre sîn in Sorgen lig ich tôt. 2. Si want ir wîzen hende. neinâ vil lieber man! owê mich wê der leide, und wellest mich nun lân. 3. "Ich bin dir ie getrieuwe, in meine niuwan dich vil herzeliebin vrouwe. ne tuoz ouch umbe mich! 4. Nun welle got von himele deich breche mînen eit! nâch küssen weinden beidin: ir scheiden war in leit. 5. Dô zôch si ab ir hende ein guldîn vingerlîn. ir ougen weinden heize. dâbî gedenke mîn! 6. Adê adê vil lieber man! mîn herzelich var wol. aû ambeschen reit er hin. sîn lîp war kumbers vol. II. 1. Sol ich lachen? sol ich weinen vrouve, zwâr - in weiz es nicht. wîbe minnen, wîbe meinen. dem diz liebe leit geschiht. Zwâre, der enweiz des nicht, sül er lachen sül er weinen 2. Michel liebe Michel leide daz ist ein als wârez wort. Wil er einez, habe beide wil er hie, so sê ouch dort. Ez ist ein als wârez wort: michel liebe Michel leide. 3. Ich was vrô unt vrîs muotes; nû muoz ich dîn eigen sîn. Eigen lîbes unde guotes herzeliebez vrouwelin. Mac ich je dîn eigen sîn. ich bin vrô unt vries muotes III. 1. Al min leben muoz mir werden, sît ich, magt, dich hân gesehen. Schoenest wîp ob al der erden! heiles vil muoz ich mir jehen Nahtegal sô suoze sanc schône lûhte rôsebluome: deist ein saelec aneganc. 2. Sol ich, vrouwe, dir versmâhen so hât glücke mich getragen, Sol ich iestunt dir unnâhen sô hât mîr mîn sin gelogen. - sô bin ich der vroude vrî sinc dû mir ein süezer maere nahtegal am rôsenzwî! 3. Nahtegal, daz singen dîne hât mich nû gefangen gar. Rôse, süeziu rôse mîne, wan dîn einer nim ich war. Wol mich wol der Herzenot!- vrouwe lâ mich bî dit bliben; âne dich sô bin ich tôt. IV. 1. Lieber vogel guoter heb dich ûf unde vliuc von dan Über walt und ouwen hin zuo der vrouwen wolgetân sô stât an der Zinnen liep mîn magedîn. wartend al mit sinnen an die strâzen mîn. 2. So vâlt dîn gevidere. deich dir je müeze holder sîn! Zwo der reinen megede wis dû der liebe bote mîn. Unde wirp den maere sit ich selb enmac. daz ist mir vil swaere und ein leider tac. 3. Sinc du mîner vrouwen mit sinnen also süez ein sanc. Nâch ir stât mit trûren mîn herz und aller mîn gedanc. "Abent unt den morgen hât er dîn gedâht; al die naht mit sorgen hât er sus verbrâht." V. 1. Ist dir mîn staetez singen swaere. vil liebin reiniu vrouwe zart so sprich zuo mir ein liebez maere; und ist in liep mîn mit gekart. So schaff ich, daz min zunge dage: in weiz ouch danne, waz ich klage. 2. Ez singent nahtegaln als lange unz daz in leit volendet ist Und swîgent mêre mit ir sange ir leit daz birt ir süezen list. Ine sanc nie nahtegalen sanc; doch war ez leit, dâ von ich sanc. Und swîgent mêre mit ir sange 3. Sich, vrouw, ist der mîn liet unmaere, dun wendest liet, dun wendest leit, Den site hânt et sene daere: ir kumber ist nie ungekleit Du guote, meine dû ouch mich son sing ich, wan ich küsse dich. VI. 1. Dem swanen bin ich wol gelîch: der singet, sô er sterben sol. Mîn leben ist so kumberlich: ich zellez zuo dem tôde wol. Zer werlde bin ich gar ein zage: ich leb unt stirb iedoch von Tage zu tage. 2. Ein wîp, diu liebet mir den tôt. ein wîp, diu leidet mir min leben. E was ich stump; wan disiu nôt, diu hât mir sanges vil gegeben. sus lâz ich singend al min wê adê du toetaerim adê adê! 3. Waz hilfet mich mîns liedes klage? dui guote wil sîn nicht verstân: Sin hoeret niht, swie vil ich sage, noch troestet, wie si troesten kann Wan sterbest vroude Kranker lîp! der mort ist dîn: nu klag et staetez wîp! Doch ich habe Sie schon lange genug gelangweilt um meinen Brief hier schließen. Ich wünsche mir nichts mehr, als Sie auf Eppishausen besuchen zu können. Leben Sie wohl und erhalten Sie auch ferner Ihr Wohlwollen Ihrem Wilhelm Wackernagel. Berlin. 14/12/27.

Translation

Baron! I kindly ask for your forgiveness for only now, in mid-December, responding to your letter from May and for expressing my heartfelt thanks for the gifts you sent. At that time, it was impossible for me to do so immediately, given the joy I felt over your kind consideration for me, I could not find the words. Then came all sorts of unpleasant tasks that stole my joy in everything. I wanted to go to Poland for a longer period, perhaps forever; luckily, nothing came of it. Several codices I also had to transcribe. I could barely find myself. Now finally, to avoid further shame, I take advantage of Professor Lachmann's kindness and write to you—expressing just how heartfelt my thanks to you are, how much you have delighted me. I hope you have received some additional half or whole sheets through Froehlich or A. L. Follen. I would have gladly sent you two larger, albeit small books of mine, had I not been deterred by the unreliability of booksellers and the expense of postage. First, under the title "Spiritualia theotisca," a collection of sermon fragments from the 12th-15th centuries (Breslau, Grass); then, an edition of the Wessobrunn Prayer and the Wessobrunn Glosses (against Massmann), Berlin, Schmidt's Bookstore. Instead, let me transcribe for you a few Middle High German songs of my own making; I would be pleased if you did not dislike reading them. I. 1. "Neumuoz, I part from you. Owê the heartache! and if I must be far for long in sorrow, I lie dead. 2. She moves her white hands. no, dearest man! owê me for the sorrow, and you wish to leave me now. 3. "I am always faithful to you, in my own way very dear lady. do not do the same with me! 4. Now may God in heaven break my oath! after kisses, both were crying: their parting was in sorrow. 5. She took off her hand a golden ringlet. her eyes wept hotly. in that, remember me! 6. Goodbye, goodbye my dear man! my heartfelt farewell. oh with sadness he rode away. his body was full of grief. II. 1. Should I laugh? should I cry lady, indeed - in truth, do not know. women love, women distress. to whom this love brings suffering. Indeed, he who does not know this, would he laugh or would he cry? 2. Much love much suffering that is an undeniable word. If he wants one, he has both if he wants here, so too there. It is an undeniable word: much love much suffering. 3. I was happy and free-spirited; now I must be yours. Yours in body and goods dearest lady. If I can ever be yours. I am happy and free-spirited. III. 1. All my life must become yours, since I have seen you, maiden. fairest woman of all the earth! of my well-being, I shall assure myself. Nightingale, so sweetly sang, Beauty lit rose bloom: it is a blissful beginning. 2. Should I, lady, refuse you then luck has carried me away, should I now approach you then my senses have deceived me. - Then I am free from joy, let me hear a sweet tale, nightingale at the rose branch! 3. Nightingale, your singing has fully captured me. Rose, sweet rose of mine, only of you am I aware. Well me, well the heartache! lady, let me stay by you; without you, I am dead. IV. 1. Dear bird good raise yourself up and fly away over forests and fields to the well-endowed lady there stands my maiden on the battlement. waiting with all her thoughts for my path. 2. So shake your feathers. may luck be ever with you! To the pure maiden point yourself my beloved messenger. And throw the message since I myself cannot. that is very hard for me and a wretched day. 3. Sing to my lady with such sweet a song. Longing for her with tears is my heart and all my thoughts. "Evening and the morning have thought of you; throughout the night with worries was thus spent." V. 1. Is my steadfast singing hard for you, dear pure lady tender then speak to me a dear tale; and if I desire to entertain you with my love. I am able to make my tongue manage: then, I know not what I complain of. 2. The nightingales sing as long until their sorrow is finished and are silent more with their song their burden gives their sweet joy. I never sang the nightingale's song; yet it was sorrow, from that I sang. 3. See, lady, if my song is unripe, you change song, you change sorrow, The custom has some duration: her grief is never unclothed. You good one, remember me too then I sing, whenever I kiss you. VI. 1. I am much like the swan: who sings before he must die. My life is so cumbersome: I count it to death indeed. In the world, I am completely a coward: I live and die still from day to day. 2. A woman, she prefers my death. a woman, she grants me life. I was silent; but this distress, it has given me much song. thus I let my entire pain sing goodbye you, sore hearted goodbye goodbye! 3. What helps me my song of lament? the good one wants not understand She hears not, no matter how much I say, nor comforts, as she can comfort When joy dies, sick body! death is yours: now laments the steadfast woman! However, I have bored you long enough, so I will conclude my letter here. I wish for nothing more than to be able to visit you in Eppishausen. Farewell and continue to maintain your well-being, Wilhelm Wackernagel. Berlin, 14/12/27.