Herr Baron! Von Ihrer Güte
erbitte ich dafür Verzeihung, dass ich erst jetzt, Mitte Decembers, auf Ihren
Brief vom May
antworte und herzlich für die mitgesandten Geschenke danke. Es gleich damals zu thun, war
mir bei der Freude über Ihre gütige Aufmerksamkeit für mich un möglich, ich konnte
keine Worte finden. Dann kamen allerhand verdriessliche Geschäfte, die mir die Lust an
Allem raubten. Ich wollte nach
Polen
gehn für
länger, vielleicht für immer; zum Glück ward nichts daraus. Mehrere codices hatte ich
auch ab zu schreiben. Ich konnte kaum zu mir selbst kommen. Jetzt endlich, um mich nicht
länger zu schaemen, benutze ich
H. Prof.
Lachmanns
Güte und schreibe Ihnen - eben wie herzlich ich Ihnen danke, wie
sehr Sie
mich erfreut haben. Ich hoffe, Sie haben durch
Froehlich
oder
A. L.
Follen
noch einige andre halbe und ganze Bogen erhalten. Gern hätte ich Ihnen
auch noch zwey groessere, wenn gleich an sich kleine Bücher von mir geschickt, wenn
mich nicht die Unsicherheit der Buch händler und die
Kostspieligkeit des Postweges abgeschreckt hätten. Zuerst unter dem Titel, "
Spiri tualia theotisca" eine Sammlung von
Predigtbruchstücken des 12-15 Jhdts (
Bresslau
, Grass);
dann eine
Ausgabe des
Wessobrunner
Gebetes u. der Wessobr: Glossen📖 (gegen
Massmann
),
Berlin
, Schmidtsche
Buchhdlg. Statt dessen lassen Sie mich Ihnen einige mhd. Lieder, selbst
gemachte, abschreiben; es wäre mir lieb, hätten Sie sie nicht ungern gelesen. I.
1. „Neumuoz, ich von dir scheiden. owê der herzenôt! und sol ich lange verre sîn in sorgen lig
ich tôt. 2. Si want ir wîzen hende. neinâ vil lieber
man! owê
mich wê der leide, und wellest mich nu lân. 3.
"Ich bin dir ie getrieuwe, in meine niuwan dich vil herzeliebin
vrouwe. ne tuoz ouch umbe mich! 4.
Nun welle got von himele deich breche mînen eit! nâch küssen
weinden beidin: ir scheiden was in leit. 5. Dô zôch si ab ir hende ein
guldîn vingerlîn. ir ougen weinden heize. dâbî
gedenke mîn! 6. Adê adê vil lieber man! mîn
herzelich var wol. aû ambeschen reit er hin. sîn
lîp was kumbers vol. II. 1. Sol ich lachen? sol ich weinen vrouve, zwâr - in
weiz es nicht. wîbe minnen, wîbe meinen. dem diz liebe leit geschiht. Zwâre, der
enweiz des nicht, sül er lachen sül er weinen 2. Michel liebe
Michel leide daz ist ein als wârez wort. Wil er einez, habe beide wil er hie, so
sê ouch dort. Ez ist ein als wârez wort: michel liebe Michel leide. 3. Ich was vrô
unt vrîs muotes; nû muoz ich dîn eigen sîn. Eigen lîbes unde
guotes herzeliebez vrouwelin. Mac ich je dîn eigen sîn. ich bin vrô unt
vries mustes III. 1. Al min leben muoz mir werden, sît ich, magt, dich hân gesehen. Schoenest wîp ob
al der erden! heiles vil muoz ich mir jehen Nahtegal sô suoze sanc schône lûhte
rôsebluome: deist ein saelec aneganc. 2. Sol ich, vrouwe, dir versmâhen so hât glücke
mich getragen, Sol ich iestunt dir unnâhen sô hât mîr mîn
sin gelogen. - sô bin ich der vroude vrî sinc dû mir ein süezer maere nahtegal am
rôsenzwî! 3.
Nahtegal, daz singen dîne hât mich nû gevangen gar. Rôse, süeziu
rôse mîne, wan dîn einer nim ich war. Wol mich wol der herzenôt!- vrouwe lâ mich
bî dit bliben; âne dich sô bin ich tôt. IV.
1. Lieber vogel guoter heb dich ûf unde vliuc von dan Über walt und
ouwen hin zuo der vrouwen wolgetân sô stât an der Zinnen liep mîn
magedîn. wartend al mit sinnen an die strâzen mîn. 2. So vâlt dîn gevidere. deich dir je
müeze holder sîn! Zwo der reinen megede wis dû der liebe
bote mîn. Unde wirp den maere sit ich selb enmac. daz ist mir vil swaere und ein leider
tac. 3. Sinc
du mîner vrouwen mit sinnen also süez ein sanc. Nâch ir stât mit
trûren mîn herz und aller mîn gedanc. "Abent unt den
morgen hât er
dîn gedâht; al die naht mit sorgen hât er sus verbrâht." V.
1. Ist dir mîn staetez singen swaere. vil liebin reiniu vrouwe zart so sprich zuo mir
ein liebez maere; und ist in liep mîn mit gekart. So schaff ich,
daz min zunge dage: in weiz ouch danne, waz ich klage. 2. Ez singent
nahtegaln als lange unz daz in leit volendet ist Und swîgent mêre
mit ir sange ir leit daz birt ir süezen list. Ine sanc nie nahtegalen sanc; doch was ez
leit, dâ von ich sanc.Und swîgent mêre mit ir sange 3. Sich, vrouw,
ist der mîn liet unmaere, dun wendest liet, dun wendest leit, Den site hânt et
sene daere: ir kumber ist nie ungekleit Du guote, meine dû ouch mich son sing ich,
wan ich küsse dich. VI. 1. Dem swanen bin ich wol gelîch: der singet, sô
er sterben sol. Mîn leben ist so kumberlich: ich zellez zuo
dem tôde wol. Zer werlde bin ich gar ein zage: ich leb unt stirb iedoch von Tage zu tage. 2. Ein wîp, diu
liebet mir den tôt. ein wîp, diu leidet mir min leben. E was ich stump;
wan disiu nôt, diu hât mir sanges vil gegeben. sus lâz ich
singend al min wê adê du toetaerim adê adê! 3. Waz hilfet mich mîns liedes klage? dui guote wil sîn
nicht verstân: Sin hoeret niht, swie vil ich sage, noch troestet, wie si troesten kann Wan sterbest vroude
Kranker lîp! der mort ist dîn: nu klag et statez wîp! Doch ich habe Sie schon lange genug gelangweilt um
meinen Brief hier schliessen. Ich wünsche mir nichts mehr, als
Sie auf
Eppishausen
besuchen zu können. Leben Sie wohl und erhalten Sie auch ferner Ihr Wohlwollen
Ihrem Wilhelm Wackernagel. Berlin. 14/12/27.