Wolgeborner,
Hochzuvererender Herr Professor! Ich hatte eben gen meinen nachbar den vicarius
Gamper
, der mich manchmal sonntags zu tische besucht, mein bedauren
ausgesprochen, daß nicht Sie, statt
Ettmüllers
, nach
Zürich
gekommen
sind, als man mir Iren
brief und geschenk vom 27 dieses
brachte. welch ein erfreuliches zusammentreffen der gedanken! vor allem nun will
ich inen meinen herzlichen dank sagen, sowol für
Ire antritts
rede📖, als den lieben brief in dem Sie mir die schöne hofnung geben, Sie bald in
meiner
waldklause
zu
sehen. Sie
können denken, daß ich, sobald die pfeife nach tische angezündet war, sogleich
Ir
büchlein📖 in die hände nam und bis zu ende las. es gefiel mir wol, über die
maßen wol, daß Sie, ein nordischer mann, den
Schweizern
wieder
in erinnerung bringen, was sie leider nur zu lange schon vergessen haben, was sie in dem fache unserer guten alten sprache und des
gesanges einst geleistet und noch wieder leisten werden: es erfreute mich, daß in manchen punkten der ältern
literargeschichte dieses landes ihre Ansichten und vermutungen mit den
meinigen zusammen trafen, auch da, wo ich gewiß war, daß sie irrten, war es mir lieb neue ideen kennen zu lernen.
mich däucht, es sei ein gutes wort, zur rechten zeit gesprochen, und ich
legte das heft mit zufriedenheit hin; aber doch auch, verzeihen sie
meiner schwäbischen freimütigkeit, zum teile mit einem unangenemen und
selbst schmerzlichen gefühl. unangenem war mir,
daß und wie Sie mich gleich auf der
ersten seite genannt haben. das
digito monstrari war nie meine sache, es war mir sogar von
ieher widerlich; denn ich sezte von
iugend auf meinen stolz
darein mich von aller eitelkeit los zu machen. lob macht alle leute schlecht,
auch die
besten! nun ist aber Ir lob zu groß, es ist nicht einmal bescheiden; weil es
mich voran den
schwei zerischen
gelerten stellt. ich muß Inen nur sagen, daß ich mich selbst nichit einmal für
einen gelerten halte; wie hätte es mich also freuen können? ich weiß recht gut:
quod a laudatis laudari viris, haec demum laus est; aber dann lese ich es lieber in
einem briefe, als gedrukt. Die angeborne aufrichtigkeit, welche mich stets beherrscht
hat, zwingt mich Inen auch noch zu sagen wie Ire rede schmerzlich auf mich gewirkt hat, und
sie hat es doppelt durch die
zwei lezten zeilen der ersten
seite. einmal: weil Sie einen den
Schweizern
noch
ganz
fremden
mann
, einen mann, über den eine günstige meinung vorhanden sein mußte, weil die
Zürcher
in an ire schule beriefen, durch ein troziges
hinwerfen des handschuhes, herab gesezt haben; und dann, weil Sie sich durch
diesen aufruf selbst schaden getan haben. "In bürgerlicher Zwietracht ist kein Heil für die
Literatur!" - Sie sehen, ich halte Inen Ire eignen worte entgegen: wo bleibt der glaube und
die liebe, welche die poesie vor allem will? Es war gewiß ein
arger mißgriff von dem guten
Aurelius
Cicero
in
Zürich
den herrn
Ettmüller
auf diese kanzel zu rufen: er
konnte auch nur bei halben kenntnissen in der Alt Teutschen literatur, durch die
specimina, welche
Ettmüller
schon von sich gegeben, belert werden, daß bei diesem manne eine
gleiche summe von wissen und nicht-wissen, durch gänzlichen abgang an
beurteilungs kraft paralysirt, in zum lerer untüchtig macht; aber, er ist
nun einmal da; warum den vorwurf, den die teutschen gelerten schon vorlängst hatten, daß sie
kriegslustig seien, auch in die
Schweiz
übertragen? weder die ältere alma
Basileiensis
, noch die kaum
geborne
Tigurina
können
ia etwas dabei gewinnen. will ein lerer den andern überwinden, so sei es durch
leren! und nun basta! verzeihen Sie einem alten manne ein unverlangtes wort;
oder, wie ich
hoffe eine nicht unwillkommene lere, ich kann noch immer iene schöne zeit nicht
vergessen: ... da wir nach ere rungen, da rieten die alten und taten die iungen und nun lassen
Sie mich noch einmal meine Freude darüber äußern, daß sie zu
mir kommen wollen! auch muß es bald geschehen; sonst treffen Sie mich vielleicht nicht mer hier. ich denke bis mitte oder bald
nach mitte dieses monats eine reise den Rhein hinab zu machen.
wie weit es gehen wird, weiß ich selbst noch
nicht; fortima viam expedirt. Es geht wöchentlich
zweimal ein eilwagen nach
Constanz
und
macht den weg in 23 stunden, … in
Schafhausen
das
dampfboot an, das in 3 stunden den
Rhein
herauffärt.
… stunden. wüßte ich den Tag Irer ankunft; so würde ich Inen
meinen wagen entgegen schiken. schreiben Sie also und
kommen Sie bald, es würde mir ser leide tun, wenn ich schon abgereißt wäre. bis
zum 16-18
July will ich auf Sie warten. Noch eins. vor zwei iaren sagte mir ein herr
Banga
aus
Basel
, daß er bei
dem buchhändler
Neukirch
daselbst
eine
papier handschrift gesehen habe, in folio und
von mer als 500 blättern, welche nichts als alte teutsche lieder
enthalte. nach seiner aussage wünschte
Neukirch
das urteil eines gelerten darüber zu vernemen, um sich darnach
zu entschließen, ob er sie heraus geben soll? wozu er wol einige lust bezeigte.
alles, was ich herrn
Banga
/:
der iezt in
Neapel
ist :/
über den fraglichen codex abfragen konnte, ließ mich vermuten, daß es wol der
verloren geglaubte
Colmarer lieder codex seie, den
ich einmal in meiner iugend bei dem alten blinden
Pfeffel
sahe. erkundigen Sie sich doch, Sie werden bald wissen was daran und ob die
sache des schweißes der edlen wert ist? und hiemit, in froher erwartung Sie bald
mündlich zu grüßen, gott befolen! von Irem ergebensten JvLaßberg. Eppishausen bei
Constanz am 30 Brachmonats. 1833 Was würden Sie dazu sagen, wenn der minnesänger:
Düring
, bei
Bodmer📖
II. 19. ein
Basler
wäre?