Brief von Joseph von Laßberg an Wilhelm Wackernagel (30.06.1833).

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Metadata

Signatur: Basel, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt,

Registernummer (Laßberg): 7?

Registernummer (Harris): 848

Gedruck in: Wackernagel: Albert Leitzmann, Briefe aus dem Nachlaß Wilhelm Wackernagels. VI.: Briefe von Joseph von Laßberg. In: Abhandlungen der phil.-hist. Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 34,1. Leipzig 1916, S. 92-130, S. 92-95/t

Original Text

Wolgeborner, Hochzuvererender Herr Professor! Ich hatte eben gen meinen nachbar den vicarius GamperGND Icon, der mich manchmal sonntags zu tische besucht, mein bedauren ausgesprochen, daß nicht Sie, statt EttmüllersGND Icon, nach ZürichWIKIDATA Icon gekommen sind, als man mir Iren brief und geschenk vom 27 dieses brachte. welch ein erfreuliches zusammentreffen der gedanken! vor allem nun will ich inen meinen herzlichen dank sagen, sowol für Ire antritts rede📖, als den lieben brief in dem Sie mir die schöne hofnung geben, Sie bald in meiner waldklauseWIKIDATA Icon zu sehen. Sie können denken, daß ich, sobald die pfeife nach tische angezündet war, sogleich Ir büchlein📖 in die hände nam und bis zu ende las. es gefiel mir wol, über die maßen wol, daß Sie, ein nordischer mann, den SchweizernWIKIDATA Icon wieder in erinnerung bringen, was sie leider nur zu lange schon vergessen haben, was sie in dem fache unserer guten alten sprache und des gesanges einst geleistet und noch wieder leisten werden: es erfreute mich, daß in manchen punkten der ältern literargeschichte dieses landes ihre Ansichten und vermutungen mit den meinigen zusammen trafen, auch da, wo ich gewiß war, daß sie irrten, war es mir lieb neue ideen kennen zu lernen. mich däucht, es sei ein gutes wort, zur rechten zeit gesprochen, und ich legte das heft mit zufriedenheit hin; aber doch auch, verzeihen sie meiner schwäbischen freimütigkeit, zum teile mit einem unangenemen und selbst schmerzlichen gefühl. unangenem war mir, daß und wie Sie mich gleich auf der ersten seite genannt haben. das digito monstrari war nie meine sache, es war mir sogar von ieher widerlich; denn ich sezte von iugend auf meinen stolz darein mich von aller eitelkeit los zu machen. lob macht alle leute schlecht, auch die besten! nun ist aber Ir lob zu groß, es ist nicht einmal bescheiden; weil es mich voran den schwei zerischenWIKIDATA Icon gelerten stellt. ich muß Inen nur sagen, daß ich mich selbst nichit einmal für einen gelerten halte; wie hätte es mich also freuen können? ich weiß recht gut: quod a laudatis laudari viris, haec demum laus est; aber dann lese ich es lieber in einem briefe, als gedrukt. Die angeborne aufrichtigkeit, welche mich stets beherrscht hat, zwingt mich Inen auch noch zu sagen wie Ire rede schmerzlich auf mich gewirkt hat, und sie hat es doppelt durch die zwei lezten zeilen der ersten seite. einmal: weil Sie einen den SchweizernWIKIDATA Icon noch ganz fremden mannGND Icon, einen mann, über den eine günstige meinung vorhanden sein mußte, weil die ZürcherWIKIDATA Icon in an ire schule beriefen, durch ein troziges hinwerfen des handschuhes, herab gesezt haben; und dann, weil Sie sich durch diesen aufruf selbst schaden getan haben. "In bürgerlicher Zwietracht ist kein Heil für die Literatur!" - Sie sehen, ich halte Inen Ire eignen worte entgegen: wo bleibt der glaube und die liebe, welche die poesie vor allem will? Es war gewiß ein arger mißgriff von dem guten Aurelius CiceroGND Icon in ZürichWIKIDATA Icon den herrn EttmüllerGND Icon auf diese kanzel zu rufen: er konnte auch nur bei halben kenntnissen in der Alt Teutschen literatur, durch die specimina, welche EttmüllerGND Icon schon von sich gegeben, belert werden, daß bei diesem manne eine gleiche summe von wissen und nicht-wissen, durch gänzlichen abgang an beurteilungs kraft paralysirt, in zum lerer untüchtig macht; aber, er ist nun einmal da; warum den vorwurf, den die teutschen gelerten schon vorlängst hatten, daß sie kriegslustig seien, auch in die SchweizWIKIDATA Icon übertragen? weder die ältere alma BasileiensisWIKIDATA Icon, noch die kaum geborne TigurinaWIKIDATA Icon können ia etwas dabei gewinnen. will ein lerer den andern überwinden, so sei es durch leren! und nun basta! verzeihen Sie einem alten manne ein unverlangtes wort; oder, wie ich hoffe eine nicht unwillkommene lere, ich kann noch immer iene schöne zeit nicht vergessen: ... da wir nach ere rungen, da rieten die alten und taten die iungen und nun lassen Sie mich noch einmal meine Freude darüber äußern, daß sie zu mir kommen wollen! auch muß es bald geschehen; sonst treffen Sie mich vielleicht nicht mer hier. ich denke bis mitte oder bald nach mitte dieses monats eine reise den Rhein hinab zu machen. wie weit es gehen wird, weiß ich selbst noch nicht; fortima viam expedirt. Es geht wöchentlich zweimal ein eilwagen nach ConstanzWIKIDATA Icon und macht den weg in 23 stunden, … in SchafhausenWIKIDATA Icon das dampfboot an, das in 3 stunden den RheinWIKIDATA Icon herauffärt. … stunden. wüßte ich den Tag Irer ankunft; so würde ich Inen meinen wagen entgegen schiken. schreiben Sie also und kommen Sie bald, es würde mir ser leide tun, wenn ich schon abgereißt wäre. bis zum 16-18 July will ich auf Sie warten. Noch eins. vor zwei iaren sagte mir ein herr BangaGND Icon aus BaselWIKIDATA Icon, daß er bei dem buchhändler NeukirchGND Icon daselbst eine papier handschrift gesehen habe, in folio und von mer als 500 blättern, welche nichts als alte teutsche lieder enthalte. nach seiner aussage wünschte NeukirchGND Icon das urteil eines gelerten darüber zu vernemen, um sich darnach zu entschließen, ob er sie heraus geben soll? wozu er wol einige lust bezeigte. alles, was ich herrn BangaGND Icon /: der iezt in NeapelWIKIDATA Icon ist :/ über den fraglichen codex abfragen konnte, ließ mich vermuten, daß es wol der verloren geglaubte Colmarer lieder codex seie, den ich einmal in meiner iugend bei dem alten blinden PfeffelGND Icon sahe. erkundigen Sie sich doch, Sie werden bald wissen was daran und ob die sache des schweißes der edlen wert ist? und hiemit, in froher erwartung Sie bald mündlich zu grüßen, gott befolen! von Irem ergebensten JvLaßberg. Eppishausen bei Constanz am 30 Brachmonats. 1833 Was würden Sie dazu sagen, wenn der minnesänger: DüringGND Icon, bei Bodmer📖 II. 19. ein BaslerWIKIDATA Icon wäre?

Normalisierter Text

Wohlgeborener, Hochzuverehrender Herr Professor! Ich hatte eben gegen meinen Nachbarn den Vikar Gamper, der mich manchmal sonntags zu Tische besucht, mein Bedauern ausgesprochen, dass nicht Sie, statt Ettmüllers, nach Zürich gekommen sind, als man mir Ihren Brief und Geschenk vom 27 dieses brachte. Welch ein erfreuliches Zusammentreffen der Gedanken! Vor allem nun will ich Ihnen meinen herzlichen Dank sagen, sowohl für Ihre Antrittsrede als auch den lieben Brief, in dem Sie mir die schöne Hoffnung geben, Sie bald in meiner Waldklause zu sehen. Sie können denken, dass ich, sobald die Pfeife nach Tische angezündet war, sogleich Ihr Büchlein in die Hände nahm und bis zu Ende las. Es gefiel mir wohl, über die Maßen wohl, dass Sie, ein nordischer Mann, den Schweizern wieder in Erinnerung bringen, was sie leider nur zu lange schon vergessen haben, im Fache unserer guten alten Sprache und des Gesanges einst geleistet und noch wieder leisten: Es erfreute mich, dass in manchen Punkten der älteren Literaturgeschichte dieses Landes Thesen und Vermutungen mit den meinigen zusammentrafen, auch da, wo ich gewiss war, dass es mir lieb war, neue Ideen kennenzulernen. Mich deucht, es sei ein gutes Wort, zur Zeit gesprochen, und ich legte das Heft mit Zufriedenheit hin; aber doch auch, verzeihen Sie schwäbischen Freimütigkeit, zum Teil mit einem unangenehmen und selbst schmerzlichen Empfinden. Unangenehm war mir, dass und wie Sie mich gleich auf der ersten Seite genannt haben. Das Kontrari war nie meine Sache, es war mir sogar von jeher widerlich; denn ich setze meinen Stolz darein, mich von aller Eitelkeit loszumachen. Lob macht alle Leute schlecht, auch die besten! Nun ist aber Ihr Lob zu groß, es ist nicht einmal bescheiden; weil es mich voran den schweizerischen Gelehrten stellt. Ich muss Ihnen nur sagen, dass ich mich selbst nicht einmal für einen Gelehrten halte; wie hätte es mich also freuen können? Ich weiß recht gut: quod a laudatis laudari viris, haec demum laus est; aber dann lese ich es lieber in einem Brief, als gedruckt. Die angeborene Aufrichtigkeit, welche mich stets beherrscht hat, zwingt mich Ihnen auch noch zu sagen, wie Ihre Rede schmerzlich auf mich gewirkt hat, und sie hat es doppelt durch die zwei letzten Zeilen der ersten Seite. Einmal: weil Sie einen den Schweizern noch ganz fremden Mann, einen Mann, über den eine günstige Meinung vorhanden sein musste, weil die Zürcher ihn an ihre Schule beriefen, durch ein trotziges Hinwerfen des Handschuhes, herabgesetzt haben; und dann, weil Sie sich durch diesen Aufruf selbst Schaden getan haben. "In bürgerlicher Zwietracht ist kein Heil für die Literatur!" - Sie sehen, ich halte Ihnen Ihre eigenen Worte entgegen: Wo bleibt der Glaube und die Liebe, welche die Poesie vor allem will? Es war gewiss ein arger Missgriff von dem guten Aurelius Cicero in Zürich den Herrn Ettmüller auf diese Kanzel zu rufen: Er konnte auch nur bei halben Kenntnissen in der Altdeutschen Literatur durch die Specimina, welche Ettmüller schon von sich gegeben, belehrt werden, dass bei diesem Manne eine gleiche Summe von Wissen und Nicht-Wissen, durch gänzlichen Abgang an Beurteilungskraft paralysiert, ihn zum Lehrer untüchtig macht; aber, er ist nun einmal da; warum den Vorwurf, den die deutschen Gelehrten schon vorlängst hatten, dass sie kriegslustig seien, auch in die Schweiz übertragen? Weder die ältere alma Basileiensis, noch die kaum geborene Tigurina können ja etwas dabei gewinnen. Will ein Lehrer den anderen überwinden, so sei es durch Lehren! Und nun basta! Verzeihen Sie einem alten Manne ein unverlangtes Wort; oder, wie ich hoffe, eine nicht unwillkommene Lehre, ich kann noch immer jene schöne Zeit nicht vergessen: ... da wir nach Ihren Vorgaben, da rieten die Alten und taten die Jungen und nun lassen Sie mich noch einmal meine Freude darüber äußern, dass Sie mir kommen wollen! Auch muss es bald geschehen; sonst treffen Sie mich nicht. Ich denke bis Mitte oder bald nach Mitte dieses Monats eine Reise den Rhein hinunter zu machen, wie weit es gehen wird, weiß ich selbst noch nicht; fortima viam expedit. Zweimal ein Eilwagen nach Konstanz und macht den Weg in 23 Stunden, nimmt in Schaffhausen das Dampfschiff an, das in 3 Stunden den Rhein herauffährt. Kennt man den Tag Ihrer Ankunft, so würde ich Ihnen meinen Wagen senden, um Sie also und kommen Sie bald, es würde mir sehr leidtun, wenn ich schon abgereist wäre. Bis zum 16.-18. Juli will ich auf Sie warten. Noch eins. Vor zwei Jahren sagte mir ein Herr Banga aus Basel, dass er bei dem Buchhändler Neukirch daselbst eine Papierhandschrift gesehen habe, in Folio und von mehr als 500 Blättern, welche nichts als alte deutsche Lieder enthalte. Nach seiner Aussage wünschte Neukirch das Urteil eines Gelehrten darüber zu vernehmen, um sich danach zu entschließen, ob er sie herausgeben soll? wozu er wohl einige Lust bezeigte. Alles, was ich Herrn Banga (/ der jetzt in Neapel ist /) über den fraglichen Codex abfragen konnte, ließ mich vermuten, dass es wohl der verloren geglaubte Colmarer Lieder Codex sei, den ich einmal in meiner Jugend bei dem alten blinden Pfeffel sah. Erkunden Sie sich doch, Sie werden bald wissen, was daran und ob die Sache des Schweißes der Edlen wert ist? Und hiermit, in froher Erwartung, Sie bald mündlich zu grüßen, Gott befohlen! Von Ihrem ergebensten JvLaßberg. Eppishausen bei Konstanz am 30. Brachmonat. 1833 Was würden Sie dazu sagen, wenn der Minnesänger Düring bei Bodmer II. 19 ein Basler wäre?

Translation

Well-born and Highly Esteemed Professor! I had just expressed to my neighbor, Vicar Gamper, who sometimes visits me on Sundays for dinner, my regret that you, instead of Ettmüller, did not come to Zurich when your letter and gift of the 27th brought it to me. What a delightful coincidence of thoughts! First of all, I want to express my heartfelt thanks to you, both for your inaugural speech and the dear letter in which you give me the beautiful hope of soon seeing you in my forest hermitage. You can imagine that as soon as the pipe was lit after dinner, I immediately took your little book into my hands and read it to the end. I liked it very much, exceedingly well, that you, a Northern man, remind the Swiss again of what they, unfortunately, have long since forgotten, of what our good old language and song once achieved and can still achieve: it delighted me that in many points of the older literary history of this country, assumptions coincided with my own, even where I was sure, that it was a pleasure for me to learn new ideas. I think it is a good word spoken at the right time, and I put the booklet down with satisfaction; but yet also, pardon my Swabian candor, partly with an unpleasant and even painful feeling. What was unpleasant to me was that and how you mentioned me right on the first page. Patronizing was never my business; it was even repugnant to me from the beginning because I took pride in freeing myself from all vanity. Praise makes all people bad, even the best! Now your praise is too great; it is not even modest because it places me ahead of the Swiss scholars. I must tell you that I do not consider myself a scholar; how could it please me then? I know very well: quod a laudatis laudari viris, haec demum laus est; but I prefer to read it in a letter than printed. The innate honesty, which has always governed me, compels me to also tell you that your speech had a painful effect on me, and even more so through the last two lines of the first page. Firstly: because you have put a man, still quite unfamiliar to the Swiss, a man over whom a favorable opinion had to exist since the Zurichers called him to your school, down through a defiant throwing of the gauntlet; and then, because you have done harm to yourself through this call. "In civil discord, there is no salvation for literature!" - You see, I hold your own words up to you: where is the belief and love which poetry above all wants? It was certainly a grave mistake by the good Aurelius Cicero in Zurich to call Mr. Ettmüller to this podium: he could only be enlightened by the scant knowledge in Old German literature, through the specimens that Ettmüller had already given of himself, that in this man an equal sum of knowledge and ignorance, paralyzed by a complete lack of judgment, makes him unfit as a teacher; but he is here now; why also transpose the reproach that German scholars had long since had, that they are belligerent, to Switzerland? Neither the older alma Basileiensis nor the newly born Tigurina can gain anything from it. If one teacher wants to surpass another, let it be through teaching! And now enough! Forgive an old man for an unsolicited word; or, as I hope, a not unwelcome lesson, I still cannot forget that beautiful time: ... when we were still engaged, where the old advised and the young acted, and now let me once again express my joy that you intend to come to visit me! It must happen soon; otherwise, you might miss me. I think around the middle or soon after the middle of this month I will undertake a journey as far as fortune dictates. The stagecoach to Constance runs twice and makes the journey in 23 hours; from Schaffhausen, the steamship takes 3 hours up the Rhine. If I knew the day of your arrival, I would ... you; so come soon, it would grieve me greatly if I had already left. I will wait for you until the 16th-18th of July. One more thing. Two years ago, a Mr. Banga from Basel told me that he had seen a paper manuscript at bookseller Neukirch, in folio and with more than 500 sheets, which contains nothing but old German songs. According to his statement, Neukirch wished to hear the verdict of a scholar on it to decide whether to publish it, which he seemed somewhat inclined to do. Everything I could ask Mr. Banga about the manuscript, who is now in Naples, led me to suspect that it might be the long lost Colmarer Song Codex, which I once saw in my youth with the old blind Pfeffel. Inquire about it, and you will soon know what it is about and whether it is worth the effort of the noble? And with this, in joyful anticipation of seeing you soon and greeting you verbally, God bless you! From your most devoted JvLaßberg. Eppishausen near Constance, 30th Brachmonat. 1833 What would you say if the minstrel: Düring, at Bodmer II. 19, were a Basler?