Brief von Joseph von Laßberg an Wilhelm Wackernagel (26.09.1833).

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Metadata

Signatur: Basel, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt,

Registernummer (Laßberg):

Registernummer (Harris): 854

Gedruck in: Wackernagel: Albert Leitzmann, Briefe aus dem Nachlaß Wilhelm Wackernagels. VI.: Briefe von Joseph von Laßberg. In: Abhandlungen der phil.-hist. Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 34,1. Leipzig 1916, S. 92-130, S. 99

Original Text

Eppishausen am 26 Sept. 1833. Vererter Herr Professor! Vierzehen tage nach empfang Ires lieben briefes erhielt ich auch die kiste mit dem ehemaligen gemälde von Tobias StimmerGND Icon dem Maler von SchafhausenWIKIDATA Icon, welcher es für den bischof Christoph MezlerGND Icon von ConstanzWIKIDATA Icon verfertigt hatte, wie solches wappen, iarzal und der dedications vers auf dem querbalken des altärchens anzeigen. darunter be fand sich noch ein antependium, worauf ChristusGND Icon am abend male mit den aposteln gemalt war; dieses muß schon bei dem seligen Wocher verloren gegangen sein. es hatte die iarzal 1559. mit der wiedererstattung der gefälligst für mich gemachten auslage /: 56 bazen:/ bitte ich auch den verbindlichsten dank für die für mich diesfalls übernommene bemühung zu genemigen: kann ich in diesen gegenden, oder wo immer Inen etwas besorgen; so bitte ich mich nicht zu verschonen, Sie erweisen mir dadurch ein wares vergnügen. Nun ist das gemälde zwar durch die iniuria temporum zerstört; aber für mich bleibt es noch immer ein wertes andenken, und sein anblik wekt in mir allerlei süße und sauere erinnerungen: ich denke, wenn ein Schweizer iezt sein vaterland WIKIDATA Iconanschaut, über welches auch, wie über dies gemälde, ein hagelwetter gekommen ist; so mag er änliche empfindungen haben. wie hat sich binnen den 4 wochen, da Sie mir schrieben, alles verändert! doch nicht un erwartet, von dem augenblike an, da BaselWIKIDATA Icon und die urkantone sich selbst aufgaben. auf die frage: ob es weise war, auf den hilfruf der ReigoldsweilerWIKIDATA Icon zu hören ? weiß ich nichts zu antworten: als: tue recht und siehe dich nicht um! aber wer den mut hat das rechte zu tun, muß auch nicht verzagen und so plözlich, wie hier geschahe, alles aufgeben. warum haben die BaslerWIKIDATA Icon nicht einen auswärtigen kriegsmann von gutem rufe zum anfürer genommen? das wäre keine schande gewesen, die völker des altertums taten es oft, und mit erfolg. Leider haben Sie mein Vererter! richtig prophezeihet; der königGND Icon hat nicht in die trennung NeuenburgsWIKIDATA Icon von der eidgenossen schaft gewilligt; denn es sind vorerst wichtigere fragen zu lösen. die erste ist : to by, or not to by! denn die über krieg und frieden enthält doch nichts andres. die faden des polit. gewebes sind einmal so verworren, daß kaum etwas außer dem schwerte mer hinreichen dürfte, sie wieder in ordnung zu bringen! aber ich muß auch mit dem alten CatoGND Icon rufen: ante omnia Carthaginem delendam esse! ehe die teutschen fanen nicht wieder auf dem MontmartreWIKIDATA Icon wehen, kann kein dauerhafter friede in der welt gegründet werden. ob es diesmal zum Kriege kommen wird? in dem augenblike, da ich dieses schreibe, ist es wol schon ent schieden; aber, wenn es auch diesmal nicht dazu kömmt; so ist doch gewiß, daß es bald dazu kommen muß. beide partheien verlangen mit zu großer sensucht einmal zu wissen, was aus inen werden soll, als daß dieser provisorische zustand lange mer bestehen könnte. es hat sich zu lange gebogen, es muß nun endlich brechen! BernsWIKIDATA Icon terroristische anträge an die tagsazung haben bei der siebenköpfigen concordia einigen anklang gefunden. ThurgauWIKIDATA Icon, welches in allem den affen von ZürichWIKIDATA Icon macht, wird wirklich zu einer außerordentlichen großenratsversammelung gehezt; aber, da die zal der gemäßigten auch in diesem kanton seit einiger zeit beträchtlich zugenommen hat; ist es ser warschein lich, daß diesmal die versammelung nicht zu staude kommt; allein, wer kann lange für ein volk gut stehen? magis Pugnas et exactos Tyrannos Densum humeris bibit aure vulgus! Die BernWIKIDATA Iconer, eifersüchtig auf die schnellen fortschritte der ZürcherWIKIDATA Icon auf der ban des terrorismus, wollen sie nun durch die einricht ung von blutgerichten überbieten, und scheinen vergessen zu haben, daß beinahe alle blutmänner des französischen national convents durch die guillotine gefallen sind! aber ZürichWIKIDATA Icon ist gewiß viel gefärlicher als BernWIKIDATA Icon, wo iezt meist nur unwissende männer am ruder sizen. Ich begreiffe eben so gut als ich es herzlich bedauere, daß auch Sie unter den gegenwärtigen verhältnissen leiden müßen: aber das kann ich doch kaum erwarten, daß auch die universität zu BaselWIKIDATA Icon in die allgemeine teilung ein geworfen werde. das würde doch ganz einer schlechten Ironie gleich sehen. haben Sie noch eine weile geduld mein wertester gastfreund! der alte gott lebt noch! lassen Sie uns vest an diesem glauben halten, ein einziger augenblik kann alles umgestalten. Nun bin ich doch frohe, daß der Colmarer liedercodex wieder auf gefunden ist. natürlich denkt herr NeukirchGND Icon iezt an keine herausgabe, die im auch gar nicht zuzumuten ist; allein, seine abneigung denselben sehen zu lassen, schreibe ich einer ganz andern ursache zu als Sie: er fürchtet warscheinlich, daß, bei bekanntwerdung derselben, von französischer seite reclamationen eintretten dürften: ich kenne beispiele hievon; und die StrasburgerWIKIDATA Icon würden himmel und erde bewegen, um in zu bekommen: in ColmarWIKIDATA Icon selbst, denke ich, ist: ignoti nulla cupido. Unter wiederholung meines dankes, grüße ich Sie und die optimae spei tyrones herzlich und bleibe Ir ergebenster JvLaßberg. Teilen Sie meine freude! vor kurzem sind mir 8 noch unbekannte Carolingische urkunden zugekommen, darunter eine von 814. dem todesiare Karl des großenGND Icon. iterum vale!

Normalisierter Text

Eppishausen am 26. Sept. 1833. Verehrter Herr Professor! Vierzehn Tage nach Empfang Ihres lieben Briefes erhielt ich auch die Kiste mit dem ehemaligen Gemälde von Tobias Stimmer, dem Maler von Schaffhausen, welcher es für den Bischof Christoph Mezler von Konstanz verfertigt hatte, wie solches Wappen, Jahreszahl und der Dedikationsvers auf dem Querbalken des Altärchens anzeigen. Darunter befand sich noch ein Antependium, worauf Christus am Abendmahl mit den Aposteln gemalt war; dieses muss schon bei dem seligen Wocher verloren gegangen sein. Es hatte die Jahreszahl 1559. Mit der Wiedererstattung der gefälligst für mich gemachten Auslage /: 56 Batzen/: bitte ich auch den verbindlichsten Dank für die für mich diesfalls übernommene Bemühung zu genehmigen: kann ich in diesen Gegenden, oder wo immer Ihnen etwas besorgen; so bitte ich mich nicht zu verschonen, Sie erweisen mir dadurch ein wahres Vergnügen. Nun ist das Gemälde zwar durch die iniuria temporum zerstört; aber für mich bleibt es noch immer ein wertvolles Andenken, und sein Anblick weckt in mir allerlei süße und saure Erinnerungen: ich denke, wenn ein Schweizer jetzt sein Vaterland anschaut, über welches auch, wie über dieses Gemälde, ein Hagelwetter gekommen ist; so mag er ähnliche Empfindungen haben. Wie hat sich binnen den 4 Wochen, da Sie mir schrieben, alles verändert! Doch nicht unerwartet, von dem Augenblick an, da Basel und die Urkantone sich selbst aufgaben. Auf die Frage: ob es weise war, auf den Hilferuf der Reigoldsweiler zu hören? weiß ich nichts zu antworten: als: tue recht und siehe dich nicht um! Aber wer den Mut hat das Rechte zu tun, muss auch nicht verzagen und so plötzlich, wie hier geschah, alles aufgeben. Warum haben die Basler nicht einen auswärtigen Kriegsmann von gutem Ruf zum Anführer genommen? Das wäre keine Schande gewesen, die Völker des Altertums taten es oft, und mit Erfolg. Leider haben Sie, mein Verehrter! richtig prophezeit; der König hat nicht in die Trennung Neuenburgs von der Eidgenossenschaft gewilligt; denn es sind vorerst wichtigere Fragen zu lösen. Die erste ist: to be, or not to be! Denn die über Krieg und Frieden enthält doch nichts anderes. Die Fäden des politischen Gewebes sind einmal so verworren, dass kaum etwas außer dem Schwerte mehr hinreichen dürfte, sie wieder in Ordnung zu bringen! Aber ich muss auch mit dem alten Cato rufen: ante omnia Carthaginem delendam esse! Ehe die deutschen Fahnen nicht wieder auf dem Montmartre wehen, kann kein dauerhafter Friede in der Welt gegründet werden. Ob es diesmal zum Kriege kommen wird? In dem Augenblicke, da ich dieses schreibe, ist es wohl schon entschieden; aber, wenn es auch diesmal nicht dazu kommt; so ist doch gewiss, dass es bald dazu kommen muss. Beide Parteien verlangen mit zu großer Sehnsucht einmal zu wissen, was aus ihnen werden soll, als dass dieser provisorische Zustand lange mehr bestehen könnte. Es hat sich zu lange gebogen, es muss nun endlich brechen! Berns terroristische Anträge an die Tagsatzung haben bei der siebenköpfigen Concordia einigen Anklang gefunden. Thurgau, welches in allem den Affen von Zürich macht, wird wirklich zu einer außerordentlichen Großratsversammlung geheizt; aber, da die Zahl der Gemäßigten auch in diesem Kanton seit einiger Zeit beträchtlich zugenommen hat; ist es sehr wahrscheinlich, dass diesmal die Versammlung nicht zustande kommt; allein, wer kann lange für ein Volk gutstehen? magis Pugnas et exactos Tyrannos Densum humeris bibit aure vulgus! Die Berner, eifersüchtig auf die schnellen Fortschritte der Zürcher auf der Bahn des Terrorismus, wollen sie nun durch die Einrichtung von Blutgerichten überbieten, und scheinen vergessen zu haben, dass beinahe alle Blutmänner des französischen Nationalkonvents durch die Guillotine gefallen sind! Aber Zürich ist gewiss viel gefährlicher als Bern, wo jetzt meist nur unwissende Männer am Ruder sitzen. Ich begreife ebenso gut, als ich es herzlich bedauere, dass auch Sie unter den gegenwärtigen Verhältnissen leiden müssen: aber das kann ich doch kaum erwarten, dass auch die Universität zu Basel in die allgemeine Teilung eingeworfen werde. Das würde doch ganz einer schlechten Ironie gleichsehen. Haben Sie noch eine Weile Geduld, mein wertester Gastfreund! Der alte Gott lebt noch! Lassen Sie uns fest an diesem Glauben halten, ein einziger Augenblick kann alles umgestalten. Nun bin ich doch froh, dass der Colmarer Liedercodex wieder aufgefunden ist. Natürlich denkt Herr Neukirch jetzt an keine Herausgabe, die ihm auch gar nicht zuzumuten ist; allein, seine Abneigung, denselben sehen zu lassen, schreibe ich einer ganz anderen Ursache zu als Sie: er fürchtet wahrscheinlich, dass, bei Bekanntwerdung derselben, von französischer Seite Reklamationen eintreten dürften: ich kenne Beispiele hiervon; und die Straßburger würden Himmel und Erde bewegen, um ihn zu bekommen: in Colmar selbst, denke ich, ist: ignoti nulla cupido. Unter Wiederholung meines Dankes, grüße ich Sie und die optimae spei tyrones herzlich und bleibe Ihr ergebener JvLaßberg. Teilen Sie meine Freude! Vor kurzem sind mir 8 noch unbekannte Karolingische Urkunden zugekommen, darunter eine von 814, dem Todesjahr Karls des Großen. Iterum vale!

Translation

Eppishausen, September 26, 1833. Esteemed Professor! Fourteen days after receiving your kind letter, I also received the box containing the former painting by Tobias Stimmer, the painter from Schaffhausen, which he made for the bishop Christoph Mezler of Constance, as indicated by the coat of arms, the year number, and the dedication verse on the crossbeam of the little altar. Below it was an antependium, on which Christ was painted with the apostles at the Last Supper; this must have already been lost with the late Wocher. It bore the year number 1559. With the reimbursement of the expenses kindly made on my behalf (: 56 batzen :), I ask you to receive my most obliging thanks for the efforts undertaken for me in this matter: if I can take care of anything for you in these regions or anywhere else, I ask you not to hesitate to call on me; it would be a true pleasure for me. Now, the painting is destroyed by the iniuria temporum; but for me, it remains a valuable keepsake, and its sight awakens all kinds of sweet and bitter memories in me: I think that if a Swiss now looks at his homeland, over which a storm has also come, like over this painting, he may have similar feelings. How everything has changed within the 4 weeks since you wrote to me! But not unexpectedly, from the moment Basel and the original cantons gave themselves up. To the question of whether it was wise to respond to the Reigoldsweiler's call for help; I know nothing to answer than: do what is right and don't look back! But whoever has the courage to do the right thing must not lose heart and so suddenly, as happened here, give everything up. Why didn't the people of Basel take a foreign military leader of good repute as a commander? That would not have been a disgrace, the peoples of antiquity often did it, and successfully. Unfortunately, you have, my esteemed one, rightly prophesied; the king has not consented to the separation of Neuchâtel from the Confederation, for more important questions must first be resolved. The first is: to be, or not to be! For the matter of war and peace contains nothing else. The threads of the political fabric are so tangled that hardly anything other than the sword may be sufficient to bring them back in order! But I must also call with old Cato: ante omnia Carthaginem delendam esse! Until the German flags wave again on Montmartre, no lasting peace can be established in the world. Will it come to war this time? At the moment I am writing this, it is probably already decided; but even if it does not come to that this time, it is certain that it must happen soon. Both parties long too desperately to know once what will become of them for this provisional state to last much longer. It has bent for too long; it must finally break! Bern's terrorist proposals to the Diet have found some resonance with the seven-headed concord. Thurgau, which in all makes a monkey of Zurich, is in fact being driven to an extraordinary meeting of the Great Council; but, since the number of moderates has also increased significantly in this canton for some time, it is very likely that the meeting will not come to fruition this time; however, who can long stand good for a people? magis Pugnas et exactos Tyrannos Densum humeris bibit aure vulgus! The Bernese, jealous of the rapid progress of the Zurichers on the path of terrorism, now want to surpass them by setting up blood courts, and seem to have forgotten that almost all the blood men of the French National Convention fell by the guillotine! But Zurich is certainly much more dangerous than Bern, where mostly only ignorant men sit at the helm now. I understand just as well as I deeply regret that you too must suffer under the present circumstances: but I can hardly expect that the University of Basel will also be thrown into the general division. That would indeed be quite reminiscent of poor irony. Have a little patience, my dearest host! The old God still lives! Let us hold firmly to this belief; a single moment can change everything. Now I am glad that the Colmar song codex has been found again. Of course, Mr. Neukirch is not currently thinking of any publication, which is not to be expected of him; but his reluctance to let it be seen, I attribute to a very different cause than you: he probably fears that if it becomes known, claims may arise from the French side: I know examples of this; and the people of Strasbourg would move heaven and earth to obtain it: in Colmar itself, I think, it is: ignoti nulla cupido. In reiteration of my thanks, I warmly greet you and the optimae spei tyrones and remain Your most devoted JvLaßberg. Share my joy! Recently, 8 previously unknown Carolingian documents have come to me, including one from 814, the death year of Charlemagne. iterum vale!