Basel, 12/5/34. Hochverehrter Herr
Baron mit
Betrübniss habe ich Ihren letzten gütigen Brief gelesen. ich wünsche, ich hoffe
dass das Uebel wieder gehoben und Hand und Arm genesen sey. Wie verdriesslich wäre es Ihnen
sonst, in dieser wunnerlichen zit des meien, wo Ihr Gau von jeher am schönsten gewesen
ist, gar die Stube hüten zu müssen Gott besser! Auch hier habe ich
seit voriger Woche den Kummer einen Kranken zu beklagen. Einer von meinen Studenten, gerade
mein Liebling, ein frischer liebenswürdiger geistreicher Mensch von seltener Dichtergabe, ist
eben jetzt wo er die Theologie aufgeben und sich ganz auf die deutschen Studien legen
wollte, in Geistes verwirrung verfallen. Ein blühender Bursch von achtzehn
Jahren. Das
ist aber nicht der erste Fall der Art. Die
Baseler
Nerven
sind so aufs
gewöhnliche eingerichtet, dass ein etwas ungewöhn licher Geist sie
gleich überreizt. Nun liegt der gute Mensch und phantasiert von
poetischen Genüssen. Der Bericht von
Ihrem Unglück gieng mir um so näher, als mir daneben so reiche und so
überaus zierlich geschriebene Auszüge vor Augen lagen. Eine so mühevolle
Freundlichkeit durfte ich nie erwarten: wie soll ich Ihnen dafür
danken. Der
Frauendienst📖 erfolgt anbei mit meinem besten Dank zurück. ich habe das hübsche Abenteuer
aus gewählt, wie
Ulrich
sich in einen Miselsächtigen verkleidet: er erzählt an dieser Stelle
mit am besten, und die ganze Geschichte ist chara cteristisch für
ihn. Ausserdem
soll von ungedruckten Sachen, wofern der Raum ausreicht, noch folgendes
hinein. Als erstes Stück das ganze
vocab: S.
Galli📖. – Aus der
sgall.
Rhetorik📖 (Zürcher H.S.).
Sgall
Abhandlung de syllogismis📖 (ib.). Eine Stelle des
Boeth📖.
(Zürcher u. Sgall. HSS.) Aus
Heinrich v.
M. gemeinen
lebens (ein Oestreicher vor 1163).
Predigt📖
aus einer Zürcher HS. c 1160.
Gebet📖
aus einer Hs. zu Muri, etwa gleichzeitig.
Predigt bruchstücke📖 von hier, grammatisch merkwürdig wie mir noch weniges vor gekommen, c. 1200. – Ein Abschnitt aus
Tommasins v.
Zerclaere welschem Gast📖. Hoeflichkeitsregeln enthaltend.
Lieder📖
aus der Würzb. HS. (freylich halb w: halb schon ediert von
Herr vd
Hagen
). Eben daher und aus Wiener u. Pfälzer HSS. einige
Erzählungen
u. Fabeln📖. Aus
Wernhers des
gartennaeres Meier Helmbrecht📖 (Wiener H.S.). Lieder von
Konr. v.
Würzburg
. Aus der
Cosmographie📖 hinter der
Martina📖.
Aus
Hermanns von
Fritzlar
Legendenbuch📖 (c. 1340), Pfälzer H. Aus meinem Graubündner Prediger
Albr. Kolbe
.
Ascetien des
14 Jh.📖 von hier und aus
Zürich
.
Sieben weise
Meister gedichtet 1412.📖, Baseler HS.
Meistergesänge📖 aus Pfälzer HSS Diese Woche
endlich erwarte ich die erste Correctur. Wüsste ich nur ob ich mich von Ihnen noch weiterer
gütiger Unterstützung gewärtigen dürfte. ich wage unter diesen Umständen
nicht darum zu bitten; ich wollte nur, ich könnte es. Übrigens hätte ich
Ihnen den
Frauendienst📖 schon vor einer Woche zurück senden können; aber
ich wollte doch lieber warten bis es mir moeglich wäre, die gewünschte
Abbildung der
Krone der
Königinn
Anna
beizulegen, ich habe sie nun erhalten, angefertigt vom Mahler
Neustück
, den ich glaube für weitere Arbeiten der Art empfehlen zu können. Die Masse des
Originals stehn auf einem beiliegenden Zettel. Die Krone ist von Silber, von Silberblech und
vergoldet.
Die Zeichnung ist wenige Stunden vor Verlosung des ganzen Schatzes (44
Nummern) zwischen Stadt und Land aufgenommen worden. Im F. 1827 war er auf 321 Mark 12
Loth Silbers w. 6 M. 1 L. Goldes gewürdigt worden; jetzt auf den Geldwerth
von 19-20000 Schw. Fr. wovon nach dem bekannten modus 2/5 der Stadt,
3/5. dem Lande zufallen sollten. Ein Privatmann hatte sich erboten 23000 Fr.
zu zahlen; aber die wohlberechnete Speculation missglückte, da
diesmahl die Landschaft nicht das baare Geld vorzog, sondern auf Theilung in
natura bestand. ich muss zu meiner Schande gestehn: ich weiss nicht ob
beim Loossen, wie man es wünschte, der Stadt die
goldne
Altar tafel, die grade auf etwa 8000 Fr., ihren Antheil,
geschätzt worden, zuge fallen ist. Diese von Kaiser
Heinrich
II
. gewidmete Tafel ist von Holz, mit Ducaten gold überzogen
lang 5'5", hoch 3'8". Sie enthält in fünf Nischen oder Feldern, mitten inne
Christus
, dem zu Füssen
Heinrich
und
Kunigunde
knien; ihm zu Seiten in den vier übrigen Feldern die Erzengel
Mich
.
Gabr
.
Raph
.
und den heil.
Benedictus
Auf dem obern Rande der Tafel steht gemahlt: + QVIS SICVT HEL FORTIS
MEDICVS SOTER
BENEDICTVS. Auf den untern: + PROSPICE TERRIGENAS CLEMENS MEDTATOR USIAS.
Im J: 1585 ist der Werth dieser Tafel auf 2000 Sonnen kronen oder 4500
lb geschätzt worden. Da haben Sie,
hochgeehrter Herr
Baron
,
die Nachrichten die Sie verlangt, so gut ich sie zu geben im Stande bin. Künstlerischen Werth
hat die Tafel ei gentlich gar keinen; auch nicht denjenigen den sie wohl
haben könnte. Noch lege ich Ihnen im Auftrage Prof.
Lachmanns
, der sich Ihnen auf das angelegentlichste empfehlen lässt; von seinen
academischen Vorlesungen über althochd. Metrik und seiner neuen Recension des
Hildebrandsliedes📖 Exemplare bei. Namentlich die letztere ist mir für mein Lesebuch noch
gar wohl zu statten gekommen. So wenig mir
Frankreich
gefallen will, so habe ich mich ihm doch zu Anfangs dieses Monates noch um einige Häuser
genähert: ich wohne jezt S. Johann No 31. Eine schöne geräumige Wohnung mit stattlicher
Aussicht auf
Schwarzwald
u.
Jura
und
Basel
mitten inne. ich bitte Gott
Sie gesund, zu machen und gesund zu erhalten. Leben Sie recht
wohl und bleiben Sie freundlich gewogen Ihrem ergebenen Wilh.
Wackernagel Dr.