erhalten am 12
July. Sonntags,
6. Juny 1834. Hochverehrter Herr Baron, am vergangenen Donnerstag habe ich Ihre letze Sendung
erhalten, zu
meiner grössten Freude, da ich in diesem rückhaltlosen Anver trauen einer so
prächtigen Abschrift eines
gänzlich
unbekannten Ge dichtes📖 ein besonderes Zeichen der Güte erkennen muss,
mit der Sie mir
und meinem Unternehmen freundlich geneigt sind. Da können Sie
denken, wie mir zu Muthe war, als ich dennoch den ganzen Tag
vor andern dringenden Arbeiten nicht dazu ge langen konnte,
die
Handschrift nur einigermassen näher zu betrachten. Um
so begieriger machte ich mich Freytags daran und schon am
Nachmittag waren beide Gedichte, das eine gelesen, das andre, die
Minneburg📖, zum mindesten durchlaufen. Der
Gauriel📖
ist als Nachahmung des
Iweins📖
für die Litt. Gesch. von Bedeutung, und ich denke auch solche Stellen auszuheben,
die jenes
Verhältniss in deutliches Licht setzen, nämlich die beiden Kämpfe mit
Walban und mit Iwan. Aus welcher Handschr. stammt denn die
Minneburg📖? Von der
Wienerischen weicht dieser Text
wesentlich ab: die Stelle über
Meister
Egen
die jene ent hält (
Grundriss📖 S.
442) habe ich hier trotz allem Suchen nicht wieder finden
können; die mehrfachen Beziehungen auf ihn lau ten jedesmahl
anders. Auch
Herr vd. H.
Lebensbeschreibungen📖 sind mir gar willkommen, so sehr ich mich
auch theilweise darüber ärgere; z B. wegen des unverschaemten
Streichs mit dem
Ulrich von
Lichtenstein
und der gnaedigen Protectormine mit der er
meine Arbeit
über Nithart📖 bevorwortet. "Mein junger Freund W. W." ich dachte ich wäre
jezt über
das Alter und die Verhältnisse hinaus, unter denen eine solche
Titulatur am Platze ist. Als er die
Lieder
Nitharts📖 von mir bearbeiten liess, im J: 1826; damals war ich freylich noch jung; aber dies
Datum verschweigt er weislich, und ich werde nun bei Gelegenheit
jenen ganzen schülerhaften Versuch, den er freylich in seiner
Bequemlichkeit ohne weiteres abdrucken laesst, désavou iren müssen. Möge sich Hr.
Abel
um
Gottes willen nicht mit ihm einlassen so viel ich weiss, besitzt
vd. H.
nur von dem kleinern Theile der
Pariser Bilder wirkliche
Durchzeichnungen; von dem grössern aber bloss die Beschreibungen. Da könnte es ihm freylich
ganz er wünscht seyn, mit Jemanden der alle hat sich zu
"vereinbaren."
Orelli
hat sich zu guter Lezt doch noch als braven Mann bewährt: indem der
vorläufige Anschlag um 40 % reduciert worden, sind als einmuthige
Schätzung der beiderseitigen Experten nur 44000 Fr. verblieben, wovon
31000, auf die Bücher, 13000 auf die Münzen kommen. Man hatte
100000 gefürchtet. Von einer Versteigerung kann nun noch weniger
die Rede seyn. Ist das nicht honnet von ihm? Von ihm: denn er
lenkte die andern. Wissen Sie schon dass man Sie hat ersuchen wollen, die
definitive Schätzung der Kunst gegenstände als Oberexpert zu übernehmen? Hatten Sie es
gethan, so wäre das, wie ich aus Ihrem Briefe ab nehme, wahrlich
nicht zum Schaden
Basels
gewesen;
und wie hätte ich mich gefreut, Sie hier begrüssen zu können! Man hat aber in
Arau
einen Hrn.
Keller
aus
Schafhausen
vorgezogen; warum, weiss ich nicht. Sie erbieten
Sich, Aushängebogen des Lesebuches mit nach
Göttingen
nehmen zu
wollen. Wenn ich aber jezt schon etwas davon zeigen möchte, So wären
Sie, dem das Buch so viel verdankt, gewiss der erste gewesen
dem ichs vorgelegt hätte. Aber ich stehe jetzt, mit Sp. 112., erst
am Anfange des XII Jh., und nach dem bisherigen laest sich der
Character der Sammlung nur ungenügend beurtheilen. Vor dem Schluss
des XII Jh. möchte ich sie keinem vom Fache zeigen. Da mirs daran liegt, wo es mit meinem Plane sich
verträgt mich an
Lachmanns
Auswahl anzuschliessen, so werde ich aus dem
Freydank📖
dieselben Stellen geben als er und in seinem Text: dann haben Sie auch
nicht die erneute Mühe einer Uebersendung Ihres
Liedersaales📖. Gleich am Beginn der Ferien werde ich, namentlich des
Taulers📖 wegen, auf einige Tage nach
Strassburg
wandern, und dann die ganze übrige Zeit der Vollendung des
Lesebuches📖 widmen. Dann könnte freylich alles was ich noch von Ihrer Güte in
Händen habe,
nach
Eppishausen
zurück; aber es ist doch wohl sicherer, wenn
ich damit warte, bis Sie heimgekehrt sind. Und nun leben
Sie recht wohl, sehr verehrter Herr Baron! Noch einmahl
wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen alles Glück und alle Freude;
ergehe es Ihnen wohl und kehren Sie gesund wieder. Gott
behüte Sie! Ihr herzlichst ergebener Wilh. Wackernagel.