Brief von Joseph von Laßberg an Wilhelm Wackernagel (03.08.1836).

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Metadata

Signatur: Basel, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt,

Registernummer (Laßberg): 134

Registernummer (Harris): 908

Gedruck in: Wackernagel: Albert Leitzmann, Briefe aus dem Nachlaß Wilhelm Wackernagels. VI.: Briefe von Joseph von Laßberg. In: Abhandlungen der phil.-hist. Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 34,1. Leipzig 1916, S. 92-130, S. 113

Original Text

134. Eppishausen am 3 August 1836. Was muß ich hoeren 1 gestern abends kam herr Diaconus PupikoferGND Icon zu mir, und sagte mir, daß Sie mich diesen kommenden herbst noch besuchen würden, wenn ich Inen durch einige zeilen dazu anlaß gaebe. ach lieber mann! was könnte mir lieberes geschehen, als der besuch eines mannes den ich von ganzem herzen hochschäze und dem ich dank schuldig bin, daß er mich hervorgezogen hat in seinem guten, schönen buche, indem er mich zu den guten Schwaben📖 zälte. aber iezt kömmt ein schweres kapitel! ich soll mich bei Inen entschuldigen, daß ich auf die Dedication nicht geantwortet habe, daß ich dafür nicht gedankt habe. es ist eine ganz eigene sache, die bisher nicht ieder begriffen und verstanden hat, daß ich ein solcher homo inglorius bin, dem es von natur aus widerig ist, ins publicum zu gehen, dem die ieztlebende welt so gleichgiltig ist, daß er täglich sagt und wünscht: oblitus eorum, obliviscendus et illis! Nemen Sie es mir doch nicht übel, wenn ich daher sage, daß mir die zueignung Ihres buches, so ser es mir übrigens gefallen hat, gar keine freude machte; aber glauben Sie vest, daß ich Inen iezt, wo der ärger vorüber ist, doch aus dem herzen dank dafür habe. alles das kam in eine zeit, wo mich die häußlichen sorgen umgaben: kommen Sie zu mir; so treffen Sie in litterariis nichts neues an; aber ein par zwillinge HildegundGND Icon und HildegardGND Icon, welche mir mein geliebtes weibGND Icon im lezten frülinge brachte, hübsche gesunde fröliche kinder, die uns alle tage freude machen, weil sie wirklich mit 20 wochen schon mer sind, als andere kinder mit 40. Es wäre wirklich zu spät Inen iezt erst die grüße der beiden GrimmeGND Icon auszurichten, die ich auf meiner hochzeits reise in GöttingenWIKIDATA Icon besuchte; aber es muß Inen genug sein zu wissen, daß Sie da in gutem angedenken stehen. auch der gute alte BeneckeGND Icon hat Sie nicht vergessen. ich brachte einige ser vergnügte tage in GöttingenWIKIDATA Icon zu, noch mer wären sie es gewesen, wenn der gute Willhelm GrimmGND Icon nicht kränkelte. Sie haben wol von H. PupikoferGND Icon gehört, daß ich am 9ten may das unglük gehabt habe durch einen sturz aus dem wagen so beschädiget zu werden, daß ich noch an krüken gehen muß. morgen reise ich in das bad nach BadenWIKIDATA Icon, um mich da vollends aus zu heilen. gott gebe seine gnade dazu! aber das soll Sie nicht abhalten zu mir zu kommen, mein herz gehet nicht an krüken, und bis ende dieses monats bin ich wieder zu hause, nämlich von BadenWIKIDATA Icon im AargauWIKIDATA Icon, dem alten castellum thermarum. Ich wollte Inen herzlich gerne mer schreiben; aber meine frau GND Iconmanet mich einzupaken; machen Sie uns also auf den herbst die freude Ires besuches und seien Sie des herzlichsten empfanges ver sichert, von Irem ergebenen Joseph v. Laßberg.

Normalisierter Text

Eppishausen am 3. August 1836. Was muss ich hören! Gestern abends kam Herr Diaconus Pupikofer zu mir und sagte mir, dass Sie mich diesen kommenden Herbst noch besuchen würden, wenn ich Ihnen durch einige Zeilen dazu Anlass gäbe. Ach, lieber Mann! Was könnte mir Lieberes geschehen, als der Besuch eines Mannes, den ich von ganzem Herzen hochschätze und dem ich Dank schuldig bin, dass er mich hervorgezogen hat in seinem guten, schönen Buche, indem er mich zu den guten Schwaben zählte. Aber jetzt kommt ein schweres Kapitel! Ich soll mich bei Ihnen entschuldigen, dass ich auf die Dedikation nicht geantwortet habe, dass ich dafür nicht gedankt habe. Es ist eine ganz eigene Sache, die bisher nicht jeder begriffen und verstanden hat, dass ich ein solcher homo inglorius bin, dem es von Natur aus wider ist, ins Publikum zu gehen, dem die jetztlebende Welt so gleichgültig ist, dass er täglich sagt und wünscht: oblitus eorum, obliviscendus et illis! Nehmen Sie es mir doch nicht übel, wenn ich daher sage, dass mir die Zueignung Ihres Buches, so sehr es mir übrigens gefallen hat, gar keine Freude machte; aber glauben Sie fest, dass ich Ihnen jetzt, wo der Ärger vorüber ist, doch aus dem Herzen Dank dafür habe. Alles das kam in eine Zeit, wo mich die häuslichen Sorgen umgaben: Kommen Sie zu mir; so treffen Sie in litterariis nichts Neues an; aber ein paar Zwillinge Hildegund und Hildegard, welche mir mein geliebtes Weib im letzten Frühling brachte, hübsche gesunde fröhliche Kinder, die uns alle Tage Freude machen, weil sie wirklich mit 20 Wochen schon mehr sind als andere Kinder mit 40. Es wäre wirklich zu spät, Ihnen jetzt erst die Grüße der beiden Grimme auszurichten, die ich auf meiner Hochzeitsreise in Göttingen besuchte; aber es muss Ihnen genug sein zu wissen, dass Sie da in gutem Andenken stehen. Auch der gute alte Benecke hat Sie nicht vergessen. Ich brachte einige sehr vergnügte Tage in Göttingen zu, noch mehr wären sie es gewesen, wenn der gute Wilhelm Grimm nicht kränkelte. Sie haben wohl von H. Pupikofer gehört, dass ich am 9. Mai das Unglück gehabt habe, durch einen Sturz aus dem Wagen so beschädigt zu werden, dass ich noch an Krücken gehen muss. Morgen reise ich in das Bad nach Baden, um mich da vollends auszukurieren. Gott gebe seine Gnade dazu! Aber das soll Sie nicht abhalten, zu mir zu kommen, mein Herz geht nicht an Krücken, und bis Ende dieses Monats bin ich wieder zu Hause, nämlich von Baden im Aargau, dem alten Castellum Thermarum. Ich wollte Ihnen herzlich gerne mehr schreiben; aber meine Frau mahnt mich einzupacken; machen Sie uns also auf den Herbst die Freude Ihres Besuches und seien Sie des herzlichsten Empfanges versichert, von Ihrem ergebenen Joseph v. Laßberg.

Translation

Eppishausen, August 3, 1836. What must I hear? Yesterday evening, Mr. Deacon Pupikofer came to me and told me that you would visit me this coming autumn if I gave you a reason with a few lines. Oh dear man! What could happen more favorably to me than the visit of a man whom I hold in high esteem with all my heart and to whom I owe thanks for highlighting me in his good, beautiful book, where he counts me among the good Swabians. But now comes a difficult chapter! I am to apologize to you for not responding to the dedication, for not thanking you for it. It is a very peculiar thing, which not everyone has understood so far, that I am such a "homo inglorius," who is naturally averse to going public, to whom the contemporary world is so indifferent that he daily says and wishes: "oblitus eorum, obliviscendus et illis!" Please do not take it amiss if I say that the dedication of your book, as much as I liked it otherwise, brought me no joy at all; but firmly believe that, now that the annoyance has passed, I am indeed grateful to you from the heart for it. All of this came at a time when domestic concerns surrounded me: if you come to me, you will find nothing new in literary matters; but a pair of twins, Hildegund and Hildegard, which my beloved wife brought me last spring, lovely healthy cheerful children who bring us joy every day, as they are truly more advanced at 20 weeks than other children at 40. It would indeed be too late to convey to you the greetings from the two Grimms, whom I visited on my honeymoon in Göttingen; but it must suffice for you to know that you are held in good memory there. Also, the good old Benecke has not forgotten you. I spent some very pleasant days in Göttingen, and they would have been even more so if good Wilhelm Grimm had not been unwell. You probably heard from Mr. Pupikofer that on May 9th, I had the misfortune to be so injured by a fall from a carriage that I still have to walk on crutches. Tomorrow I travel to the baths in Baden to fully recover there. May God grant His grace for that! But this should not prevent you from coming to me; my heart does not walk on crutches, and by the end of this month I will be back home, namely from Baden in Aargau, the old "castellum thermarum." I would sincerely like to write more to you; but my wife insists on packing; so please bring us the joy of your visit in autumn and be assured of the warmest welcome from your devoted Joseph v. Laßberg.