Eppishausen am 30.
März 1838. Vererter Herr Professor! Um unsern freunden und verwandten unsern künftigen wonort
recht bald, in einem, wenn auch nicht
kunstreichen
bilde, vergegenwärtigen zu können, zeichnete
meine
frau
solchen flüchtig und eiligst ließen wir solchen in Constanz
lithographiren: hier folgen ein par exemplare davon für Sie und Ire
frau
gemalin
; damit, wenn Sie einst, die küsten des
Bodensees
bereisend, nach
Meersburg
kommen,
auch wissen, wo Sie einkeren sollen. Sie werden schon aus dem bildchen
ersehen, daß es eine gute, wonliche und geräumige alte burg ist, ganz frei an der sonne
gelegen, mit vielen hellen, hohen und freundlichen gemächern von denen man herrliche
aussieht über den ganzen
Bodensee
auf die
schwäbischen, tyrolischen und schweizerischen
alpen
hat; auch
wächst zu
Meersburg
ein weinchen, das dem
Eppishauser
an
güte, kraft und annemlichkeit kaum nachstehet. was will man mer, wenn sich der besuch
lieber freunde noch dazu füget? bene est, nil amplius oro! Jezt bin ich mit
einpaken
meiner bücher beschäftiget, multorum
camelorum onus! und bald werde ich an die
handschriften kommen; ich erwäne dieses beiläufig, damit, wenn etwa die am
18ten octobers von hier nach
Basel
gereiseten
dort entberlich werden sollten, sie die reise nach dem alten
Schwabenlande
, um
guter gesellschaft willen, mit iren hiesigen kameraden antretten könnten. Nach langem
zwischenraume habe ich vor kurzem wieder einmal
eine
pergament handschrift des XIV. Jarhunderts erworben, ein schöner wolerhaltener
codex: es ist ein lateinisches Martyrologium oder heiligenlegende, wie sie
per circulum anni in der katholischen kirche
gefeiert werden. da der verfasser, in dem leben
Karl des
großen
, ganz dem
Turpinus
gefolgt ist; so ist diese recension wol iünger als das
Martyrologium
Bedae📖, und
da sie die S. Galler Heiligen:
Othmar
,
Gallus
und
Notker
enthält, auch noch iünger als ienes des
Usuardus, das er
Karl dem
III
. diken zu eignete. Je nun, es ist doch immer etwas; regnets nicht, so tröpfelts doch!
In der
Baseler Zeitung📖 lezten Jares N. 49. seite 216. lese ich unter den
ankündigungen, daß bei
H. von
Speyr
dem ältern. zum grünen Helm. N. 415. für 2 bazen, ein
gedruktes
verzeichniß seines Antiquitaeten und kunst kabinets📖 zu haben seie. da ich doch gerne
den inhalt dieser, von dem besizer selbst reich genannten, sammelung kennen lernte;
so wage ich es Sie vererter Herr! zu bitten, mir bei rüksendung
meiner bücher ein exemplar beizulegen, und mir die 2
bazen bis zu nächster gelegenheit zu borgen, auch möchte ich erfaren: ob
H. von
Speyr
nicht etwa mit gegenständen seiner sammelung handelt oder tauscht ? Von unserm guten
Jacob
Grimm
habe ich die längste zeit nichts erhalten: da es nun gegen ostern gehet,
wird er sich wol bald entscheiden müßen, ob er in
Berlin
oder
Leipzig
das kommende sommerhalbiar lesen will? das lezte wäre mir noch lieber; denn
ich fürchte,
daß
Wilhelms
brust das klima von
Berlin
nicht
ertragen möchte. Nun muß auch
Jacobs
lateinisches
buch📖, an dem er auch in
Kassel
ununterbrochen fortarbeitete, bereits fertig sein, wenn es noch auf
die Ostermesse wandern will; ich bin ser begierig darauf, auf die tierfabel, die
älter sein soll als der
Reinardus📖, auf den
Ortlieb📖,
ob er auf einem historischen grunde wurzelt? und
auf den von mir, mit meinem ganzen aparate, im abge trettenen
Waltharius📖 und wie er die geschichte mit dem
Geraldus
Floriacensis📖 nennen wird? Sollte mir freund
Jacob
etwa, durch einen heimkerenden Baseler Studenten, ein
exemplar an Sie übermachen; so bitte ich recht angelegenst es mir doch, mit erstem
abgehenden postwagen, zuzufertigen. Zum lesen und schreiben habe ich nun wenig zeit; doch lese
ich eben /: im bette:/
Gervinus geschichte der
poetischen National Literatur der Deutschen📖. welch ein strom von
beredsamkeit, welch ein meer voll wissen, welch schneller und umfassender überblik!
aber auch welch ein unbe gränztes selbstvertrauen, welcher absolutismus im
absprechen und manchmal, welche einseitigkeit in ansieht und urteil! die demut ist doch
eine förderliche tugend für die wissenschaft; aber sie scheint nach gerade ganz außer
übung zu kommen. Die
kinder
sind gottlob!
beide wol auf, wachsen wie die spargeln und fangen, bei iezt
anbrechendem frülinge, an zu singen wie die voegelein des benachbarten büchen waldes.
alle tage neue freuden! auch die ältern sind wol und gottlob! noch immer gutes
mutes.
Jenny
grüßet Sie und die
frau
Professorin
mit Irem ergebensten JvLaßberg. Sie haben doch wol meinen Brief vom 15 hornungs erhalten?
- der
Weingartner codex wird in
Frauenfeld
für den druk abgeschrieben; dieser aber kann erst beginnen,
wenn ich einmal in dem alten
Meersburg
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und mein haupt an den thurm des königs
Dagobert
lene.