Brief von Joseph von Laßberg an Wilhelm Wackernagel (17.10.1840).

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Metadata

Signatur: Basel, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt,

Registernummer (Laßberg): 214

Registernummer (Harris): 1110

Gedruck in: Wackernagel: Albert Leitzmann, Briefe aus dem Nachlaß Wilhelm Wackernagels. VI.: Briefe von Joseph von Laßberg. In: Abhandlungen der phil.-hist. Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 34,1. Leipzig 1916, S. 92-130, S. 120-23

Original Text

Auf der alten Meersburg am 17 October. 1840. Tandem aliquando! rief ich, mein hochvererter herr und freund! beim erbliken der eben sowol bekannten, als lange vermissten schriftzüge aus, und so angenem mir das geschenk unsers lieben Wilhelm GrimmGND Icon war; so ser schmerzt mich die nachricht, welche Sie mir von dem zustande Irer gesundheit geben, welche mir schon im lezten sommer Herr Professor De WetteGND Icon, der uns hier mit seiner frauGND Icon besuchte, als leidend schilderte. Liegt das übel im unterleibe; so giebts dagegen nur ein mittel: reisen, reisen nach einem milden himmelsstriche; ist es aber von nervöser natur; so weiss ich nicht, was ich tun würde; aber, wo eine ganze medizinische facultät ist, braucht man keinen laien zu rate zu ziehen. Möge der winter Inen besser bekommen! Was uns betrift so leben wir, dem lieben gott sei tausend dank dafür! alle alt und iung, so gesund und vergnügt in unserer alten burg, als wir nur es wünschen können, und grüssen Sie und wejb und kind auf das herzlichste. wie oft haben meine frau und ich schon den wunsch aus gesprochen: dass Sie alle drei einmal zu uns kommen und einige stillvergnügte tage bei uns verleben möchten! Ich weiss gewiss, dass Sie sich sowol in der hellen, warmen und geräumigen DagobertsburgWIKIDATA Icon, und der schönen aussicht über den ganzen BodenseeWIKIDATA Icon, von einem ende zum andern, gefallen würden, als auch in meinem, nun endlich angefüllten büchersaale, der das ehemalige fürstbischofliche Archivlocal und noch ein paar gemache dazu begreifft, mit anstossendem schreibzimmer, von dem ich die reihen der bücherkasten übersehe. Deus nobis haec otia fecit aber mit dem arbeiten will es noch nicht recht zu gange kommen; ich werde allzuoft gestört: gelerte und ungelerte kommen häufig den alten burgvogt und seine handschriften zu besuchen. Hoffmann von FallerslebenGND Icon und herr PfeifferGND Icon aus SolothurnWIKIDATA Icon haben Inen wol meine grüsse ausgerichtet. Professor ReyscherGND Icon aus TübingenWIKIDATA Icon, der das vorwort zu meines Friz📖 Schwabenspiege📖 gemacht hat, und dessen college Prof, MichaelisGND Icon; sogar ein BaselerWIKIDATA Icon Theologe fand, wie schon gesagt, den weg in unsere alte mauren; dann im laufe des sommers schneite es landsleute meiner guten JennyGND Icon in unser haus; die frommen wakeren westphalen aus dem PumpernikellandeWIKIDATA Icon gefielen sich ser in unserer alten burg, im vergleiche mit iren kaien und fahlen heiden. auch die entfernten freunde dachten an mich: UhlandGND Icon verkündete mir die vollendung seines werkes über das volkslied📖, und das nahe beginnen seines drukes. LachmannGND Icon beschenkte mich mit 20 alten liedern von den Nibelungen📖; die bearbeitung der übrigen verhinderte die nähe des buchdrukerfestes. Aber, was habe ich zu geben! nichts als ein Vergelts Gott! - Indessen habe ich doch hie und da etwas getan; aber mer für andre leute als für mich selbst. Urkunden für meinen codex diplomaticus abschreiben, das gehet noch; weil man da abbrechen kann, wann man will, auch habe ich deren schon eine hübsche anzal inedita beisamen. Eine gute handschrift von Taulers PredigtenGND Icon, cod. pap., dann die werke des 1331 gestorbenen abts Engelbert von AdmontGND Icon, 2 bände in 4to, eine Vita sanctorum seculi XIV📖, alles auf pergament, und eine späte aber gute handschrift von Wilhelm von Orlienz📖 in niederrheinischer schreib art, und eine sammlung Westphaelischer Lieder 1579. worinne auch ein verwandter meiner frau, Eberwin DrosteGND Icon als dichter erscheint, habe ich, seit ich hier bin, erworben. Dieses iar sind w[...]en liedern gesegnet worden, welche aber zum teile, z. b. die bei [ ... ] sstetun. Dr. MarbachsGND Icon übersezung ist wol, weder das schöne papier, [...] ersehe bilder und vignetten, welche mich auch nicht besonders erfreut haben, wert [...]ol CottaGND Icon zuletzt noch liefern wird? Es ist überall gegen wärtig wenig verstand und noch weniger reiner kunstgeschmak. An Irem schönen und guten lesebuch felen mir noch die dedication, vorrede und sogar die nachrede, welche, wie ich höre, keine üble nachrede sein soll: denken Sie vererter freund! doch darauf mir diese defecte einmal zu übermachen. Mit freuden haben wir Ires kindes und Irer frauen wolbefinden vernommen; was uns betrift, so haben wir lezten sommer alle zusamen eine reise nach WestphalenWIKIDATA Icon gemacht; aber für dies mal blos in gedanken; denn Jupiter pluvius hat alles verschwemmt, und als das gute wetter kam, war es schon zu späte; daher kam iezt unsere gute schwiegermutter, bleibt den winter bei uns und nimmt uns auf den sommer mit sich nach dem frommen pumpernikel lande, wo wir bei onkels vettern und basen herumziehend, bis auf den herbst zu bleiben gedenken. Nun ade! und gott befolen von Irem Joseph von LaßbergGND Icon.

Normalisierter Text

Auf der alten Meersburg am 17. Oktober 1840. Tandem aliquando! rief ich, mein hochverehrter Herr und Freund! beim Erblicken der eben sowohl bekannten, als lange vermissten Schriftzüge aus, und so angenehm mir das Geschenk unseres lieben Wilhelm Grimm war; so sehr schmerzt mich die Nachricht, welche Sie mir von dem Zustand Ihrer Gesundheit geben, welche mir schon im letzten Sommer Herr Professor De Wette, der uns hier mit seiner Frau besuchte, als leidend schilderte. Liegt das Übel im Unterleibe; so gibt's dagegen nur ein Mittel: reisen, reisen nach einem milden Himmelsstriche; ist es aber von nervöser Natur; so weiß ich nicht, was ich tun würde; aber, wo eine ganze medizinische Fakultät ist, braucht man keinen Laien zu Rate zu ziehen. Möge der Winter Ihnen besser bekommen! Was uns betrifft, so leben wir, dem lieben Gott sei tausend Dank dafür! alle alt und jung, so gesund und vergnügt in unserer alten Burg, als wir nur es wünschen können, und grüßen Sie und Weib und Kind auf das Herzlichste. Wie oft haben meine Frau und ich schon den Wunsch ausgesprochen: dass Sie alle drei einmal zu uns kommen und einige stillvergnügte Tage bei uns verleben möchten! Ich weiß gewiss, dass Sie sich sowohl in der hellen, warmen und geräumigen Dagobertsburg, und der schönen Aussicht über den ganzen Bodensee, von einem Ende zum anderen, gefallen würden, als auch in meinem nun endlich angefüllten Büchersaal, der das ehemalige fürstbischöfliche Archivlokal und noch ein paar Gemache dazu begreift, mit anstoßendem Schreibzimmer, von dem ich die Reihen der Bücherschränke übersehe. Deus nobis haec otia fecit, aber mit dem Arbeiten will es noch nicht recht zu Gange kommen; ich werde allzuoft gestört: Gelehrte und Ungelehrte kommen häufig, den alten Burgvogt und seine Handschriften zu besuchen. Hoffmann von Fallersleben und Herr Pfeiffer aus Solothurn haben Ihnen wohl meine Grüße ausgerichtet. Professor Reyscher aus Tübingen, der das Vorwort zu meines Fritz Schwabenspiegel gemacht hat, und dessen Kollege Prof. Michaelis; sogar ein Baseler Theologe fand, wie schon gesagt, den Weg in unsere alten Mauern; dann im Laufe des Sommers schneite es Landsleute meiner guten Jenny in unser Haus; die frommen wackeren Westfalen aus dem Pumpernickellande gefielen sich sehr in unserer alten Burg, im Vergleich mit ihren kargen und fahlen Heiden. Auch die entfernten Freunde dachten an mich: Uhland verkündete mir die Vollendung seines Werkes über das Volkslied, und das nahe Beginnen seines Druckes. Lachmann beschenkte mich mit 20 alten Liedern von den Nibelungen; die Bearbeitung der übrigen verhinderte die Nähe des Buchdruckerfestes. Aber, was habe ich zu geben! Nichts als ein Vergelt's Gott! - Indessen habe ich doch hie und da etwas getan; aber mehr für andere Leute als für mich selbst. Urkunden für meinen Codex Diplomaticus abschreiben, das geht noch; weil man da abbrechen kann, wann man will, auch habe ich deren schon eine hübsche Anzahl Inedita beisammen. Eine gute Handschrift von Taulers Predigten, Cod. Pap., dann die Werke des 1331 gestorbenen Abts Engelbert von Admont, 2 Bände in 4to, eine Vita Sanctorum Seculi XIV, alles auf Pergament, und eine späte aber gute Handschrift von Wilhelm von Orlienz in niederrheinischer Schreibart, und eine Sammlung westfälischer Lieder 1579, worin auch ein Verwandter meiner Frau, Eberwin Droste, als Dichter erscheint, habe ich, seit ich hier bin, erworben. Dieses Jahr sind wir mit guten Liedern gesegnet worden, welche aber zum Teil, z. B. die bei Sestetun. Dr. Marbachs Übersetzung ist wohl, weder das schöne Papier, noch die Verseherbilder und Vignetten, welche mich auch nicht besonders erfreut haben, wert. [...]ol Cotta zuletzt noch liefern wird? Es ist überall gegenwärtig wenig Verstand und noch weniger reiner Kunstgeschmack. An Ihrem schönen und guten Lesebuch fehlen mir noch die Dedikation, Vorrede und sogar die Nachrede, welche, wie ich höre, keine üble Nachrede sein soll: denken Sie, geehrter Freund, doch darauf, mir diese Defekte einmal zu übermachen. Mit Freuden haben wir Ihres Kindes und Ihrer Frauen Wohlbefinden vernommen; was uns betrifft, so haben wir letzten Sommer alle zusammen eine Reise nach Westfalen gemacht; aber für dieses Mal bloß in Gedanken; denn Jupiter Pluvius hat alles verschwemmt, und als das gute Wetter kam, war es schon zu spät; daher kam jetzt unsere gute Schwiegermutter, bleibt den Winter bei uns und nimmt uns auf den Sommer mit sich nach dem frommen Pumpernickellande, wo wir bei Onkeln, Vettern und Basen herumziehend, bis auf den Herbst zu bleiben gedenken. Nun ade! und Gott befohlen von Ihrem Joseph von Laßberg.

Translation

At the Old Meersburg, October 17, 1840. Finally, at last! I exclaimed, my highly esteemed lord and friend! upon beholding the well-known, yet long-missed handwriting, and as pleasant as the gift from our dear Wilhelm Grimm was to me, so much does the news pain me that you give me regarding the state of your health, which Professor De Wette, who visited us here with his wife last summer, already described as suffering. If the trouble lies in the lower abdomen, then there is only one remedy: travel, travel to a mild climate; but if it is of a nervous nature, then I do not know what I would do; however, where there is a whole medical faculty, there is no need to consult a layman. May the winter be better for you! As for us, we live, thank God a thousand times for it! all old and young, as healthy and happy in our old castle as we could wish to be, and send our warmest greetings to you and your wife and child. Many times my wife and I have expressed the wish: that all three of you would come to us once and spend some peaceful days with us! I am sure that you would enjoy the bright, warm and spacious Dagobertsburg, and the beautiful view over the entire Lake Constance, from one end to the other, as well as in my now finally filled library, which comprises the former prince-bishop's archive room and a couple more chambers, with an adjoining writing room from which I oversee the rows of bookcases. Deus nobis haec otia fecit but working still does not quite come along right; I am disturbed too often: scholars and non-scholars frequently come to visit the old castle steward and his manuscripts. Hoffmann von Fallersleben and Mr. Pfeiffer from Solothurn have, I hope, conveyed my greetings to you. Professor Reyscher from Tübingen, who made the foreword to my Fritze Schwabenspiegel, and his colleague Prof. Michaelis; even a Basel theologian found, as mentioned, the way to our old walls. Then, over the course of the summer, it snowed countrymen of my good Jenny into our house; the devout, stout-hearted Westphalians from the Pumpernickel land greatly enjoyed themselves in our old castle, compared to their barren and pale heathlands. Even distant friends thought of me: Uhland announced to me the completion of his work on the folk song, and the imminent start of its printing. Lachmann gifted me with 20 old songs of the Nibelungs; the preparation of the others was hindered by the proximity of the book printer's festival. But what do I have to give! Nothing but a heartfelt thanks! - In the meantime, I have managed to do something here and there; but more for other people than for myself. Copying documents for my Codex Diplomaticus, that is still going; because one can break off whenever one wants, and I already have a nice number of ineditas together. A good manuscript of Tauler's sermons, cod. pap., then the works of the abbot Engelbert of Admont, who died in 1331, 2 volumes in 4to, a Vita sanctorum of the 14th century, all on parchment, and a late but good manuscript of Wilhelm von Orlienz in Lower Rhine script style, and a collection of Westphalian songs from 1579, in which also a relative of my wife, Eberwin Droste, appears as a poet, I have acquired since I have been here. This year we have been blessed with songs, which, however, partly, e.g., those with [ ... ] sstetun. Dr. Marbach's translation is probably neither worth the fine paper, nor the illustrations and vignettes, which also did not particularly delight me, although Cotta may still supply in the end? There is presently little understanding and even less pure taste in art everywhere. In your beautiful and good reading book, I am missing the dedication, preface, and even the postscript, which, as I hear, is supposed to be no bad afterword: esteemed friend! please do think of overcoming these defects for me once. We heard with joy of your child's and your wife's well-being; as for us, last summer we all together planned a trip to Westphalia; but this time only in thoughts; for Jupiter Pluvius had everything washed away, and when the good weather came, it was already too late; hence, now our good mother-in-law has come, will stay with us for the winter, and will take us with her to the pious Pumpernickel land in the summer, where we think to stay, visiting uncles, cousins, and bases, until the autumn. Now farewell! and God be with you from your Joseph von Laßberg.