Von Herzen
verehrter Herr und Freund! Mit inniger Freude habe ich (freylich in Folge meiner Vacanz-abwesenheit
von
Basel
erst nach Verlauf eines vollen Monats) Ihren Brief vom 9 July durch meinen Nachbarn,
Herrn
R.H. Burckhardt-Iselen
erhalten. Mit Freude, aber auch mit
Wehmuth: denn bei diesen freundlichen Zeilen und den begleitenden Erzählungen des
Ueberbringers fiel es mir von neuem schwer aufs Herz, wie lange ich Sie und die
verehrten Ihrigen schon nicht mehr gesehen, dass ich Sie in
Ihrem neuen Schlosse noch gar nicht besucht habe. Jedesmal dass Ferien eintraten, habe
ich all
diese Jahre gedacht: Geh. nach
Märsburg
, und
niemals mehr
habe ich es, bald durch Arbeitsdrang, bald durch häusliche
Verhältnisse behindert, ausführen können. So auch wieder in
den eben verflossenen Sommerferien:
meine Frau
ist in
Umständen die ihr eine groessere Reise unmoeglich und
und mir (nachdem
wir schon zweymal das Unglück einer zu frühen Niederkunft haben erleben müssen) eine längere
Trennung
unerwünscht machen: da haben wir uns denn nur sieben Stunden von hier in einem einsamen
Gebirgsbade der
Landschaft niedergelassen. Uebers Jahr aber komme ich sicherlich,
wenn Gott mir diese Freude gönnen mag. Und Sie, geliebter und verehrter Herr und Freund, Sie
sollten doch
auch einmal, wenn Sie den
Rhein
hinunter
in die Heimat
Ihrer
Frau
Gemahlin
reisen, mit auf dem Weg unsre alte
Basilea
besuchen,
wo Ihnen mehr als Ein Herz zugethan ist, keines aber (ich sage es getrost) so wie das
meine. Aus
Ihrem lieben Brief und aus den Berichten des Ritterlichen
Ehepaars ersche ich dass ich Sie um die schöne Rüstigkeit Ihres Arbeitens zu beneiden habe.
Mir geht es
bei den Leiden nervoeser Reizbarkeit gar langsam langsam von Statten. Das
Altd.
Lesebuch📖 ist allerdings noch immer nicht vollendet; und nicht mehr eraschienen als Sie
in Händen
haben: jedoch wird jezt mit Eifer am
Glossar📖
gedruckt. Vom
dritten Theile des ganzen Werkes (Prosa seit MD.) wird nächstens der erste Band Geiler v. Keisersb. bis
Zinzendorf heraus und natürlich auch zu Ihnen hinauf kommen. Gern hätte ich Ihnen vor einem Jahre
geschickt was hier der Jubel des Buchdruckerfestes an Poesie u. Prosa
(hystorischer u. oratorischer) zu Tage gefördert hat: aber ich habe aus dem Sturm und
Drang des
allgemeinen Zugreifens kaum für mich selbst (den Praesidenten der
Festcommission) Exemplare retten können. Damit entschuldigen Sie mich falls Sie mir gezürnt
haben. Auf
das Buch, dessen Druck Sie jezo beschäftigt, bin ich um so
begieriger, als Sie über Inhalt u. Form u. Verfasser noch gar nichts haben
verrathen mögen. Aber (damit ich auch an Sie eine eine neckende Frage der Ungeduld richte) was macht
der
Weingartner Codex? Soll diess Juwel der altdeutschen Liederdichtung noch
länger in den Gewölben
Ihrer Burg
vergraben liegen?
Endlich
diessmal lassen Sie mich eine grosse Bitte, die ich in
Eppishausen
, die
ich bisher in jedem Briefe nur mit Mühe unter drückt habe, frey
heraus Ihnen vortragen: da Ihr Liedersaal doch nicht in den Buchhandel kommt, und da man ihn
nur als
Geschenk von Ihnen haben kann: so erweysen Sie auch mir diese
Freundes gunst! Und jedesfalls zürnen Sie der freyen Bitte nicht! Lassen Sie mich
mit diesem schweren Worte abbrechen. Gott erhalte mir Sie und Ihre Gewogenheit. Mit mir laest
sich auch
mein liebes
Weib
Ihnen u. Ihrer hochverehrten
Frau
Gemahlin
angelegentlichst empfehlen, und wenn Sie (ich bitte nochmals darum) über
Basel
kommen, soll Ihnen auch
mein
Bube
eine tüchtige Patschhand geben. Von treuem Herzen Ihr beständig
ergebener Wilh. Wackernagel Dr. Basel 11 Aug. 41