Brief von Wilhelm Wackernagel an Joseph von Laßberg (11.08.1841).

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Metadata

Signatur: Basel, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt,

Registernummer (Laßberg):

Registernummer (Harris): 2720

Gedruck in:

Original Text

Von Herzen verehrter Herr und Freund! Mit inniger Freude habe ich (freylich in Folge meiner Vacanz-abwesenheit von BaselWIKIDATA Icon erst nach Verlauf eines vollen Monats) Ihren Brief vom 9 July durch meinen Nachbarn, Herrn R.H. Burckhardt-IselenGND Icon erhalten. Mit Freude, aber auch mit Wehmuth: denn bei diesen freundlichen Zeilen und den begleitenden Erzählungen des Ueberbringers fiel es mir von neuem schwer aufs Herz, wie lange ich Sie und die verehrten Ihrigen schon nicht mehr gesehen, dass ich Sie in Ihrem neuen Schlosse noch gar nicht besucht habe. Jedesmal dass Ferien eintraten, habe ich all diese Jahre gedacht: Geh. nach MärsburgWIKIDATA Icon, und niemals mehr habe ich es, bald durch Arbeitsdrang, bald durch häusliche Verhältnisse behindert, ausführen können. So auch wieder in den eben verflossenen Sommerferien: meine FrauGND Icon ist in Umständen die ihr eine groessere Reise unmoeglich und und mir (nachdem wir schon zweymal das Unglück einer zu frühen Niederkunft haben erleben müssen) eine längere Trennung unerwünscht machen: da haben wir uns denn nur sieben Stunden von hier in einem einsamen Gebirgsbade der Landschaft niedergelassen. Uebers Jahr aber komme ich sicherlich, wenn Gott mir diese Freude gönnen mag. Und Sie, geliebter und verehrter Herr und Freund, Sie sollten doch auch einmal, wenn Sie den RheinWIKIDATA Icon hinunter in die Heimat Ihrer Frau GemahlinGND Icon reisen, mit auf dem Weg unsre alte BasileaWIKIDATA Icon besuchen, wo Ihnen mehr als Ein Herz zugethan ist, keines aber (ich sage es getrost) so wie das meine. Aus Ihrem lieben Brief und aus den Berichten des Ritterlichen Ehepaars ersche ich dass ich Sie um die schöne Rüstigkeit Ihres Arbeitens zu beneiden habe. Mir geht es bei den Leiden nervoeser Reizbarkeit gar langsam langsam von Statten. Das Altd. Lesebuch📖 ist allerdings noch immer nicht vollendet; und nicht mehr eraschienen als Sie in Händen haben: jedoch wird jezt mit Eifer am Glossar📖 gedruckt. Vom dritten Theile des ganzen Werkes (Prosa seit MD.) wird nächstens der erste Band Geiler v. Keisersb. bis Zinzendorf heraus und natürlich auch zu Ihnen hinauf kommen. Gern hätte ich Ihnen vor einem Jahre geschickt was hier der Jubel des Buchdruckerfestes an Poesie u. Prosa (hystorischer u. oratorischer) zu Tage gefördert hat: aber ich habe aus dem Sturm und Drang des allgemeinen Zugreifens kaum für mich selbst (den Praesidenten der Festcommission) Exemplare retten können. Damit entschuldigen Sie mich falls Sie mir gezürnt haben. Auf das Buch, dessen Druck Sie jezo beschäftigt, bin ich um so begieriger, als Sie über Inhalt u. Form u. Verfasser noch gar nichts haben verrathen mögen. Aber (damit ich auch an Sie eine eine neckende Frage der Ungeduld richte) was macht der Weingartner Codex? Soll diess Juwel der altdeutschen Liederdichtung noch länger in den Gewölben Ihrer BurgWIKIDATA Icon vergraben liegen? Endlich diessmal lassen Sie mich eine grosse Bitte, die ich in EppishausenWIKIDATA Icon, die ich bisher in jedem Briefe nur mit Mühe unter drückt habe, frey heraus Ihnen vortragen: da Ihr Liedersaal doch nicht in den Buchhandel kommt, und da man ihn nur als Geschenk von Ihnen haben kann: so erweysen Sie auch mir diese Freundes gunst! Und jedesfalls zürnen Sie der freyen Bitte nicht! Lassen Sie mich mit diesem schweren Worte abbrechen. Gott erhalte mir Sie und Ihre Gewogenheit. Mit mir laest sich auch mein liebes WeibGND Icon Ihnen u. Ihrer hochverehrten Frau GemahlinGND Icon angelegentlichst empfehlen, und wenn Sie (ich bitte nochmals darum) über BaselWIKIDATA Icon kommen, soll Ihnen auch mein BubeGND Icon eine tüchtige Patschhand geben. Von treuem Herzen Ihr beständig ergebener Wilh. Wackernagel Dr. Basel 11 Aug. 41

Normalisierter Text

Von Herzen verehrter Herr und Freund! Mit inniger Freude habe ich (freilich in Folge meiner Vakanz-Abwesenheit von Basel erst nach Verlauf eines vollen Monats) Ihren Brief vom 9. Juli durch meinen Nachbarn, Herrn R.H. Burckhardt-Iselin erhalten. Mit Freude, aber auch mit Wehmut: denn bei diesen freundlichen Zeilen und den begleitenden Erzählungen des Überbringers fiel es mir von neuem schwer aufs Herz, wie lange ich Sie und die verehrten Ihrigen schon nicht mehr gesehen, dass ich Sie in Ihrem neuen Schlosse noch gar nicht besucht habe. Jedes Mal dass Ferien eintraten, habe ich all diese Jahre gedacht: Geh. nach Märsburg, und niemals mehr habe ich es, bald durch Arbeitsdrang, bald durch häusliche Verhältnisse behindert, ausführen können. So auch wieder in den eben verflossenen Sommerferien: meine Frau ist in Umständen, die ihr eine größere Reise unmöglich und mir (nachdem wir schon zweimal das Unglück einer zu frühen Niederkunft haben erleben müssen) eine längere Trennung unerwünscht machen: da haben wir uns denn nur sieben Stunden von hier in einem einsamen Gebirgsbade der Landschaft niedergelassen. Übers Jahr aber komme ich sicherlich, wenn Gott mir diese Freude gönnen mag. Und Sie, geliebter und verehrter Herr und Freund, Sie sollten doch auch einmal, wenn Sie den Rhein hinunter in die Heimat Ihrer Frau Gemahlin reisen, mit auf dem Weg unsere alte Basilea besuchen, wo Ihnen mehr als ein Herz zugetan ist, keines aber (ich sage es getrost) so wie das meine. Aus Ihrem lieben Brief und aus den Berichten des Ritterlichen Ehepaars ersehe ich, dass ich Sie um die schöne Rüstigkeit Ihres Arbeitens zu beneiden habe. Mir geht es bei den Leiden nervöser Reizbarkeit gar langsam vonstatten. Das Altd. Lesebuch ist allerdings noch immer nicht vollendet; und nicht mehr erschienen als Sie in Händen haben: jedoch wird jetzt mit Eifer am Glossar gedruckt. Vom dritten Teil des ganzen Werkes (Prosa seit MD.) wird nächstens der erste Band Geiler v. Keisersb. bis Zinzendorf heraus und natürlich auch zu Ihnen hinaufkommen. Gern hätte ich Ihnen vor einem Jahre geschickt, was hier der Jubel des Buchdruckerfestes an Poesie u. Prosa (historischer u. oratorischer) zu Tage gefördert hat: aber ich habe aus dem Sturm und Drang des allgemeinen Zugreifens kaum für mich selbst (den Präsidenten der Festkommission) Exemplare retten können. Damit entschuldigen Sie mich falls Sie mir gezürnt haben. Auf das Buch, dessen Druck Sie jetzt beschäftigt, bin ich umso begieriger, als Sie über Inhalt u. Form u. Verfasser noch gar nichts haben verraten mögen. Aber (damit ich auch an Sie eine neckende Frage der Ungeduld richte) was macht der Weingartner Codex? Soll dieses Juwel der altdeutschen Liederdichtung noch länger in den Gewölben Ihrer Burg vergraben liegen? Endlich diesmal lassen Sie mich eine große Bitte, die ich in Eppishausen, die ich bisher in jedem Briefe nur mit Mühe unter drückt habe, frei heraus Ihnen vortragen: Da Ihr Liedersaal doch nicht in den Buchhandel kommt, und da man ihn nur als Geschenk von Ihnen haben kann: so erweisen Sie auch mir diese Freundesgunst! Und jedenfalls zürnen Sie der freien Bitte nicht! Lassen Sie mich mit diesem schweren Worte abbrechen. Gott erhalte mir Sie und Ihre Gewogenheit. Mit mir lässt sich auch mein liebes Weib Ihnen u. Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin angelegentlichst empfehlen, und wenn Sie (ich bitte nochmals darum) über Basel kommen, soll Ihnen auch mein Bube eine tüchtige Patschehand geben. Von treuem Herzen Ihr beständig ergebener Wilh. Wackernagel Dr. Basel, 11. Aug. 41

Translation

From the heart, esteemed sir and friend! With heartfelt joy, I have received (admittedly, following my vacation absence from Basel only after the course of a full month) your letter from July 9 through my neighbor, Mr. R.H. Burckhardt-Iselen. With joy, but also with melancholy: for upon reading these kind lines and the accompanying tales of the bearer, it weighed heavily on my heart anew how long it has been since I have seen you and your esteemed family, and that I have not yet visited you in your new castle. Every time holidays came, I thought all these years: Go to Märsburg, and yet I have never been able to fulfill it, sometimes hindered by the demand of work, sometimes by domestic circumstances. So it was again in the past summer vacation: my wife is in a condition that makes a longer journey impossible for her and (after having already twice experienced the misfortune of a premature delivery) makes a longer separation undesirable for me: thus, we have settled only seven hours from here in a secluded mountain bath of the countryside. But next year, I will surely come, if God grants me this joy. And you, beloved and esteemed sir and friend, you should also, once when you travel down the Rhine to the homeland of your wife, stop by our old Basilea, where more than one heart is devoted to you, though none (I say it confidently) like mine. From your lovely letter and from the reports of the noble couple, I perceive that I must envy you for the beautiful vigor of your work. For me, due to the suffering of nervous irritability, everything proceeds very slowly. The Old German Reader is indeed still not completed; and not more has appeared than what you have in hand: however, the glossary is now being printed with zeal. The first volume from the third part of the whole work (Prose since MD.) will soon come out, from Geiler v. Keisersb. to Zinzendorf, and naturally also reach you. I would have gladly sent you what the jubilation of the printer's festival brought to light here in poetry and prose (historical and oratorical) a year ago, but I could hardly save for myself (the president of the festival commission) any copies from the storm and stress of general demand. Please excuse me if you have been angry with me. I am all the more eager for the book which you are now occupied with printing, as you have revealed nothing about its content, form, or author. But (so that I too may direct a teasing question of impatience at you) how is the Weingartner Codex? Should this jewel of old German song poetry remain buried in the vaults of your castle for longer? Finally, this time, allow me to put forward a great request that I have, until now, only with difficulty suppressed in every letter, at Eppishausen: since your song hall does not enter the book trade, and as it can only be obtained as a gift from you, please also bestow this favor upon me as a friend! And in any case, do not be angry at the free request! Let me break off with this serious word. May God preserve you and your goodwill towards me. My dear wife also earnestly recommends herself to you and your highly esteemed wife, and when you (I ask once more for this) come to Basel, my boy shall also give you a hearty handshake. From a loyal heart, Your ever-devoted Wilh. Wackernagel Dr. Basel, August 11, 1841