204 Auf der alten
Meersburg
am 13 August. 1841. Vererter herr und freund! Ist es möglich,
dass Sie der einzige unter meinen freunden sind, der kein exemplar meines
Liedersaales📖 besizt! ich muss gestehen dass ich, ungeachtet meiner 72
iare, eine
gewisse wärme auf meinen wangen aufsteigen fülte, als ich an die stelle Ires briefes kam,
die mir diese unterlassung kund giebt; aber ich danke Inen doch von herzen, dass
Sie mich an diese freundschaftsschuld erinnert haben. hier folgen
inzwischen der I. und der III. band, die einzigen, die ich noch vorrätig habe, alles
andere liegt in dem grossen vierekigten thurme des
königs
Dagobert
, zwar nicht in einem verliese, aber noch, vom umzuge her,
in grosser unordnung, so dass ich die feienden baende erst noch heraussuchen
muss; ich hoffe aber, Sie sollen nicht lange darauf warten. als man mir
diesen morgen Iren brief übers bette brachte und ich die bekannten züge der
überschrift erblikte, erschrak ich über das schwarze siegel und den graeu lichen Basilisken, fürchtend, es möchte ein unfall Ir haus betroffen haben.
Gottlob!
dass es nun nicht so ist; aber die nachrichten, welche Sie mir von Irer
lieben frau
und Irem eigenen befinden geben, sind eben auch nicht ser triöstlich
und tun mir
leide genug. moege denn der genuss der reinen bergluft im
Jura
brust und
nerven
stärken und Sie im herbste wieder hergestellt in die alte
Basilea
zurükkeren! auch hier, in der
alten
Meersburg
, wehet auf unserem felsen milde und reine luft, und ich
alter knabe selbst füle mich seit meinem hiersein viel woler, dann
zuvor; aber iezt hieher zu kommen dürfte ich Inen beiden nicht raten, indem
am 3ten dieses
meine
frau
samt den kindern ins Pumper nikel land
verreiset ist und vor ende Septembers nicht heimkommen wird; ich aber bin daheim
geblieben, als ein getreuer burgvogt, das haus zu hüten. aus
Koeln
, das sie am 9tn verliessen, habe ich nachricht von meinen lieben
reisenden, alle, alt und iung, waren gesund und munter geblieben. Gott helfe inen weiter.
Herr
Burkhard Iselin
und seine
frau
sind biedere leute, wir wurden, im bade der alten
Yburinga
, recht
dike bekannte und trennten uns ungern. wo moegen sie iezt sein? es
soll inen wol gehen! Was in
Basel
bei der
iubelfeier der buchdruker erschienen ist, habe ich als gastgeschenk von herrn
Professor
de Wette
erhalten und
meine
frau
ein halbduzend schoener aurikelpflanzen dazu.
Das buch, oder besser zu sagen,
das
büchlein📖, das ich eben druken lasse, begreift nur wenige bogen, und enthaltet einige
gedichte aus dem anfange des XV. iarhunderts, wovon das eine:
460 verse,
die belagerung und zerstoerung der burg Hohenzollern📖, enthaltend, auch historischen
wert hat. der dichter ist ein noch unbekannter:
Conrad
Silberdrat
, one zweifel aus
Rotweil
. es
kommen auch von einem andern
gleichzeitigen Schwaben:
Conrad
Oettinger
einige gedichte darein. mich daucht, aus dem
anfange des XV iarhunderts seien noch nicht genug gedichte bekannt, um den gang
und verfall der
sprache vollständig und ununterbrochen daraus verfolgen zu koennen, und sie müssen doch
auch heraus. einander mal was anderes und dann auch mereres. An den
Weingarter Codex: kann ich iezt nicht gehen, es gehoert eine
lange und ganz ruhige zeit dazu, um mich dieser arbeit mit voller besinnung und
one unterbrechung hingeben zu koennen.
ein altes
liederbuch ist mir zugekommen, aus der zweiten hälfte des XVI. iarhunderts. es
sind lauter autographa. darunter 6 lieder von der hand eines
Eberwin
Droste
1579. der derselben geschlechtslinie der Drosten angehoerte wie meine frau. er
möchte sie
wol selbst gemacht haben, wie ich auch von den übrigen vermute, welche von zerschiedenen
händen sind und warscheinlich auch von zerschiedenen verfassern. vielleicht lasse
ich sie auch noch hinzudruken. und nun, gott befolen! mit weib und
kind! von Irem JvLassberg. Sollten Sie
Burkhard-Iselin
, oder seine
frau
sehen; so richten Sie doch von mir recht herzliche grüsse aus.