Brief von Joseph von Laßberg an Wilhelm Wackernagel (07.04.1842).

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Metadata

Signatur: Basel, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt,

Registernummer (Laßberg): 53

Registernummer (Harris): 1169

Gedruck in: Wackernagel: Albert Leitzmann, Briefe aus dem Nachlaß Wilhelm Wackernagels. VI.: Briefe von Joseph von Laßberg. In: Abhandlungen der phil.-hist. Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 34,1. Leipzig 1916, S. 92-130, S. 125

Original Text

Auf der alten Meersburg am Bodensee den 7 April. 1842. Vererter Herr und Freund! So eben bringt mir ein verwandter meiner frau, in einem briefe von MaßmannGND Icon, beikommenden einschluß an Sie, den ich nicht absenden kann, one einen gruß beizufügen. mögen Sie mit weibGND Icon und kind recht wol sein! so wol als wir alle auf der alten DagobertsburgWIKIDATA Icon uns befinden. one zweifel schreibt Inen MaßmannGND Icon von dem Grimmischen funde, aus einem Merseburger Missale, der mir doch nicht so ungeheuer wichtig erscheint, als man ausgeposaunet hat. ich habe gestern aus WürzburgWIKIDATA Icon einen codex erhalten, der einst dem prediger kloster zu BambergWIKIDATA Icon gehoert. darinne stehen, von zerschiedenen händen und aus zerschiedenen zeiten, allerlei gute sachen, des XI. XII. u. XIV. Jarhunderts, das beste sind wol 4 stücke zur Theotisca gehörig auf 12 blättern: ein glaubens bekenntniß, eine beichte, beschreibung des himmels, beschreibung der hoelle. die teutschen sachen sind aus den ersten Decennien des XII. Jarhunderts; aber man will 500 gulden dafür haben, und das scheint mir doch zuviel für das was es ist. ich werde den codex nicht kaufen; aber für eine Bibliotheke, die nichts altteutsches besizt, wäre es eine schäzbare erwerbung. Ich habe diesen winter merere handschriften erworben, aber nichts ser altes. darunter ein franzoesches gedicht vom leben Mariae📖, das die sonderbarsten verirrungen des menschlichen geistes und proben der ausschweifendsten phantasie mit den gröbsten historischen felern vereiniget. z. B. eine tochter AbrahamsGND Icon gehet in den garten, riecht an einer blume und wird davon schwanger, sie gebaeret einen son, der PhanuelGND Icon genennt wird. dieser isset aepfel, wischet das messer, womit er sie geschaelet hat, an seinem schenkel ab, und der schenkel wird von dem daran geschmirten safte schwanger, nach neun monaten koemmt ein mädchen heraus, und dies ist AnnaGND Icon, die mutter MariaeGND Icon, der mutter des HeilandesGND Icon. etc. etc. etc. Sollten Sie einmal zeit finden mich wieder mit einem par zeilen zu erfreuen; so bitte ich mir auch zu sagen, was Ire nachbaren, unsere lieben freunde, Herr Burkhardt-IselinGND Icon und seine liebe frauGND Icon machen? schon so lange hoeren wir nichts mer von inen, und ich fürchte, die boese MorbonaGND Icon möchte in dem hause der guten uns so werten leute eingekeret sein. und dann bitte ich nicht darauf zu vergessen, und mir auch die vor- und nach-rede zur 2ten ausgabe ires Lesebuchs📖 zu senden. Wir alle grüßen Sie und die frau ProfessorinGND Icon auf das herzlichste. Leben Sie wol! Gott befolen! von Irem JvLaßberg.

Normalisierter Text

Auf der alten Meersburg am Bodensee, den 7. April 1842. Verehrter Herr und Freund! Soeben bringt mir ein Verwandter meiner Frau, in einem Briefe von Maßmann, beiliegenden Einschluss an Sie, den ich nicht absenden kann, ohne einen Gruß beizufügen. Mögen Sie mit Weib und Kind recht wohl sein! So wohl als wir alle auf der alten Dagobertsburg uns befinden. Ohne Zweifel schreibt Ihnen Maßmann von dem Grimmischen Funde, aus einem Merseburger Missale, der mir doch nicht so ungeheuer wichtig erscheint, als man ausgeposaunet hat. Ich habe gestern aus Würzburg einen Codex erhalten, der einst dem Predigerkloster zu Bamberg gehört. Darin stehen, von verschiedenen Händen und aus verschiedenen Zeiten, allerlei gute Sachen des XI., XII. u. XIV. Jahrhunderts, das Beste sind wohl 4 Stücke zur Theotisca gehörig auf 12 Blättern: ein Glaubensbekenntnis, eine Beichte, Beschreibung des Himmels, Beschreibung der Hölle. Die deutschen Sachen sind aus den ersten Dezennien des XII. Jahrhunderts; aber man will 500 Gulden dafür haben, und das scheint mir doch zu viel für das, was es ist. Ich werde den Codex nicht kaufen; aber für eine Bibliothek, die nichts Altdeutsches besitzt, wäre es eine schätzbare Erwerbung. Ich habe diesen Winter mehrere Handschriften erworben, aber nichts sehr Altes. Darunter ein französisches Gedicht vom Leben Mariae, das die sonderbarsten Verirrungen des menschlichen Geistes und Proben der ausschweifendsten Phantasie mit den gröbsten historischen Fehlern vereinigt. Z. B. eine Tochter Abrahams geht in den Garten, riecht an einer Blume und wird davon schwanger, sie gebiert einen Sohn, der Phanuel genannt wird. Dieser isst Äpfel, wischt das Messer, womit er sie geschält hat, an seinem Schenkel ab, und der Schenkel wird von dem daran geschmierten Safte schwanger, nach neun Monaten kommt ein Mädchen heraus, und dies ist Anna, die Mutter Mariae, der Mutter des Heilandes. etc. etc. etc. Sollten Sie einmal Zeit finden, mich wieder mit ein paar Zeilen zu erfreuen; so bitte ich, mir auch zu sagen, was Ihre Nachbarn, unsere lieben Freunde, Herr Burkhardt-Iselin und seine liebe Frau machen? Schon so lange hören wir nichts mehr von ihnen, und ich fürchte, die böse Morbona möchte in dem Hause der guten, uns so werten Leute eingekehrt sein. Und dann bitte ich, nicht darauf zu vergessen, mir auch die Vor- und Nachrede zur 2ten Ausgabe Ihres Lesebuchs zu senden. Wir alle grüßen Sie und die Frau Professorin auf das herzlichste. Leben Sie wohl! Gott befohlen! von Ihrem JvLaßberg.

Translation

On the old Meersburg at Lake Constance, April 7, 1842. Honored Sir and Friend! A relative of my wife just brought me, in a letter from Maßmann, the enclosed for you, which I cannot send without adding a greeting. I hope you, your wife, and child are very well! As well as all of us at the old Dagobertsburg are doing. No doubt Maßmann writes to you about the Grimm-inspired discovery from a Merseburg Missal, which does not seem as immensely important to me as it has been trumpeted. Yesterday, I received a codex from Würzburg, which once belonged to the preacher's monastery in Bamberg. Within, written by different hands and from different times, are all sorts of good things from the 11th, 12th, and 14th centuries; the best are probably 4 pieces belonging to Theotisca on 12 leaves: a creed, a confession, a description of heaven, a description of hell. The German items are from the first decades of the 12th century; but they are asking 500 guilders for it, and that seems too much for what it is. I will not buy the codex; but for a library that possesses nothing old German, it would be a valuable acquisition. This winter I have acquired several manuscripts, but nothing very old. Among them is a French poem about the life of Mary, which combines the strangest aberrations of the human mind and instances of the most extravagant imagination with the grossest historical errors. For example, a daughter of Abraham goes into the garden, smells a flower, and becomes pregnant from it; she gives birth to a son named Phanuel. This son eats apples, wipes the knife with which he peeled them on his thigh, and the thigh becomes pregnant from the juice smeared on it. After nine months, a girl is born, and this is Anna, the mother of Mary, the mother of the Savior, etc., etc., etc. Should you ever find time to delight me again with a few lines; please also tell me what your neighbors, our dear friends, Mr. Burkhardt-Iselin and his dear wife are doing? For so long we have heard nothing more from them, and I fear that evil Morbona may have settled in the house of the good and so valued people. And then please do not forget to send me the preface and afterword to the 2nd edition of your Reader. We all send you and the professor's wife our warmest greetings. Live well! God be with you! Your JvLaßberg.