Brief von Joseph von Laßberg an Wilhelm Wackernagel (02.08.1842).

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Metadata

Signatur: Basel, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt,

Registernummer (Laßberg): 138

Registernummer (Harris): 1191

Gedruck in: Wackernagel: Albert Leitzmann, Briefe aus dem Nachlaß Wilhelm Wackernagels. VI.: Briefe von Joseph von Laßberg. In: Abhandlungen der phil.-hist. Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 34,1. Leipzig 1916, S. 92-130, S. 126

Original Text

138. Auf der alten Meersburg am 2. August. 1842. Vererter Herr und Freund! Hier folgt ein kleines specimen meiner alten tätigkeit. "nemen Sie es mit nachsicht auf!" ist eine so verbrauchte redensart, daß ich mich schaemen würde sie hier anzuwenden: nein, nemen Sie es nicht mit nachsieht auf! und sagen Sie mir lieber, was Inen daran und darinne missfaellt! Ich danke Inen auch, dass Sie die güte hatten, unsere grüsse bei H. Burkhard IselinGND Icon auszurichten: moechte ich Inen auch danken koennen für gute nachrichten, die Sie uns von Irem und der Irigen befinden geben sollten! - gehet es unsern wünschen nach; so muss dasselbe ser gut sein. Über die so langwierige belagerung und zerstoerung der burg zu HohenzollernWIKIDATA Icon hat keiner unserer schwaebischen geschichtschreiber einen ver ständlichen bericht verlassen; ich dachte also, es moechte angenem sein etwas naeheres darüber zu hoeren. hat das gedicht📖 auch keinen poetischen wert; so hat es doch gewiss einen sprachlichen; denn die teutsche literatur des zeitraumes von 1400-1450. ist doch wirklich arm an mustern. Die lieder der beiden Hohenstaufen📖 sind auch nicht zu verachten, und Kleinheinzens gedicht📖 ist ein tüchtiges gegenstük zu den beiden S. Johannsen📖, und das ge dicht des Franzosen📖 ist um kein haar toller, als die neueste Berliner Religionsphilosophie; aber doch noch tolle genug. Neues genug in der Theotisca! 2 neue übersezzungen des Nibelungen liedes📖, von Marbach📖 die eine, von Pfizer📖 die andere, welche beide die suppe nicht fett machen werden: eine dritte📖, von dem ehemaligen Professor FollenGND Icon in ZürichWIKIDATA Icon, soll, wie ich hoere, auch nächstens erscheinen. alles dieses manet mich an die vielen übersezzungen von Virgils Aeneis📖, die in meiner iugendzeit herauskamen; was waren sie? bei dem barte Friderichs des I.GND Icon! sie sind und waren nicht Virgilisch! Franz PfeifferGND Icon von SolothurnWIKIDATA Icon sizzet in StuttgartWIKIDATA Icon und laesst da seinen Barlaam und Josaphat📖 druken: das wird ein gut stük arbeit werden. hernach will er an den Wilhelm von Orlienz📖 gehen und nach und nach den ganzen Rudolf von Ems📖 heraus geben. CottaGND Icon in StuttgartWIKIDATA Icon will eine ganze reihe mittelhoch teutscher dichter herausgeben; ich hoffe doch: inedita. Prof. Albert SchottGND Icon, früher in ZürichWIKIDATA Icon, nun in StuttgartWIKIDATA Icon, soll eine einleitung dazu schreiben, und war deshalb 4 wochen bei mir, in meinem büchersaale arbeitend. da er mir den plan seines werkes nicht mitgeteilt hat; so weiss ich nicht von was für an sichten er dabei ausgehen wird. UhlandGND Icon ist eben nach SchwedenWIKIDATA Icon abgereiset); so liegt denn sein werk über das teutsche volkslied📖 wieder, gott weiss auf wie lange, hinter dem ofen. Wir alte und iunge leute, in der DagebertsburgWIKIDATA Icon, leben ganz stille, ruhig, und was dem lieben Gott am meisten zu verdanken ist, gesund und zufrieden. was die täglich naerrischer werdenden welthändel anbetrift, so kann und muss ich sagen: oblites eorum, obliviscendus et illis! Leben Sie wol! herzlich von uns allen gegrüßet und gott befolen! von Irem Joseph von Laszberg.

Normalisierter Text

138. Auf der alten Meersburg am 2. August 1842. Verehrter Herr und Freund! Hier folgt ein kleines Specimen meiner alten Tätigkeit. "Nehmen Sie es mit Nachsicht auf!" ist eine so verbrauchte Redensart, dass ich mich schämen würde, sie hier anzuwenden: nein, nehmen Sie es nicht mit Nachsicht auf! und sagen Sie mir lieber, was Ihnen daran und darinnen missfällt! Ich danke Ihnen auch, dass Sie die Güte hatten, unsere Grüße bei H. Burkhard Iselin auszurichten: möchte ich Ihnen auch danken können für gute Nachrichten, die Sie uns von Ihrem und der Ihrigen Befinden geben sollten! - Geht es unseren Wünschen nach; so muss dasselbe sehr gut sein. Über die so langwierige Belagerung und Zerstörung der Burg zu Hohenzollern hat keiner unserer schwäbischen Geschichtsschreiber einen ver- ständlichen Bericht verlassen; ich dachte also, es möchte angenehm sein etwas Näheres darüber zu hören. Hat das Gedicht auch keinen poetischen Wert; so hat es doch gewiss einen sprachlichen; denn die deutsche Literatur des Zeitraumes von 1400-1450 ist doch wirklich arm an Mustern. Die Lieder der beiden Hohenstaufen sind auch nicht zu verachten, und Kleinheinzens Gedicht ist ein tüchtiges Gegenstück zu den beiden S. Johannsen, und das Ge- dicht des Franzosen ist um kein Haar toller, als die neueste Berliner Religionsphilosophie; aber doch noch toll genug. Neues genug in der Theotisca! 2 neue Übersetzungen des Nibelungen- liedes, von Marbach die eine, von Pfizer die andere, welche beide die Suppe nicht fett machen werden: eine dritte, von dem ehemaligen Professor Follen in Zürich, soll, wie ich höre, auch nächstens erscheinen. Alles dieses mahnt mich an die vielen Übersetzungen von Virgils Aeneis, die in meiner Jugendzeit herauskamen; was waren sie? bei dem Barte Friedrichs des I.! Sie sind und waren nicht virgilisch! Franz Pfeiffer von Solothurn sitzt in Stuttgart und lässt da seinen Barlaam und Josaphat drucken: das wird ein gut Stück Arbeit werden. Hernach will er an den Wilhelm von Orlienz gehen und nach und nach den ganzen Rudolf von Ems heraus- geben. Cotta in Stuttgart will eine ganze Reihe mittelhoch- deutscher Dichter herausgeben; ich hoffe doch: inedita. Prof. Albert Schott, früher in Zürich, nun in Stuttgart, soll eine Einleitung dazu schreiben, und war deshalb 4 Wochen bei mir, in meinem Büchersaal arbeitend. Da er mir den Plan seines Werkes nicht mitgeteilt hat; so weiß ich nicht, von was für An- sichten er dabei ausgehen wird. Uhland ist eben nach Schweden abgereist; so liegt denn sein Werk über das deutsche Volkslied wieder, Gott weiß auf wie lange, hinter dem Ofen. Wir alte und junge Leute, in der Dagebertsburg, leben ganz still, ruhig, und was dem lieben Gott am meisten zu verdanken ist, gesund und zufrieden. Was die täglich närrischer werdenden Welthändel anbetrifft, so kann und muss ich sagen: oblites eorum, obliviscendus et illis! Leben Sie wohl! Herzlich von uns allen gegrüßt und Gott befohlen! von Ihrem Joseph von Laßberg.

Translation

138. At the old Meersburg on August 2, 1842. Honored Sir and Friend! Here follows a small specimen of my old activity. "Take it with indulgence!" is such a worn-out saying that I would be ashamed to apply it here: no, do not take it with indulgence! and rather tell me what you find displeasing in and about it! I also thank you for having the kindness to convey our greetings to Mr. Burkhard Iselin: may I also be able to thank you for good news that you should give us about yourself and your family! - if it goes according to our wishes; so it must be very good. Regarding the lengthy siege and destruction of the castle at Hohenzollern, none of our Swabian historians has left a comprehensible report; so I thought it might be pleasant to hear something more about it. Even if the poem has no poetic value; it certainly has a linguistic one; for the German literature of the period from 1400-1450 is indeed poor in examples. The songs of the two Hohenstaufen are also not to be despised, and Kleinheinzen's poem is a solid counterpiece to the two St. Johannsen, and the poem of the Frenchman is not a whit crazier than the latest Berlin religious philosophy; but still crazy enough. Enough new things in the Theotisca! 2 new translations of the Nibelungenlied, one by Marbach, the other by Pfizer, neither of which will make the soup rich: a third, by the former Professor Follen in Zurich, is also said to be forthcoming soon, as I hear. All this reminds me of the many translations of Virgil's Aeneid that came out during my youth; what were they? By the beard of Frederick I! They are and were not Virgilian! Franz Pfeiffer from Solothurn is sitting in Stuttgart and is having his Barlaam and Josaphat printed there: that will be a good piece of work. Afterwards, he intends to tackle Wilhelm von Orlienz and gradually publish the entire Rudolf von Ems. Cotta in Stuttgart wants to publish a whole series of Middle High German poets; I hope they are: inedita. Prof. Albert Schott, formerly in Zurich, now in Stuttgart, is supposed to write an introduction to it and was with me for 4 weeks, working in my library. Since he did not share the plan of his work with me; I do not know from what perspectives he will approach it. Uhland has just traveled to Sweden; thus his work on the German folk song is, God knows for how long, shelved again. We old and young people, in the Dagobert Castle, live very quietly, calmly, and, thank God most of all, healthily and contentedly. As for the world affairs, which are becoming more foolish daily, I can and must say: oblites eorum, obliviscendus et illis! Farewell! Heartily greeted by all of us and may God keep you! Your Joseph von Laszberg.